Falsche Wahrheiten

Um die ganze Sache etwas strukturierter zu gestalten, habe ich mir gedacht es würde Sinn machen, die beiden Projekte voneinander zu trennen. Hier findet ihr noch einmal die ersten drei Kapitel des Fantasyromans. Oder eher, seines Anfangs.

Viel Spaß! 🙂

KAPITEL I (Edmund)

Edmund ging die Regent Street auf und ab, immer wieder ging er an den ihn schon so lange bekannten Häusern vorbei, an den Laternen und Haustüren, doch er blendete sie alle aus. Das einzige was er vor seinem inneren Auge noch sah war das bedrohliche Arbeitszimmer seines Vaters, und er selbst. Die Brille auf der Nase und die Feder in der Hand, die so zerbrechlich wirkte wenn sein Vater sie berührte. Er war schon mehr als zwei Stunden hier draußen und mittlerweile war es Abend geworden. Die Laternen wurden angezündet und das Licht, welches an den Hausfassaden und den Straßen hängen blieb, verlieh dem ganzen einen unheimlichen Touch. Gelegentlich hatte Edmund das Gefühl gehabt es sei besser es einfach sein zu lassen, sein Vater war ein erfahrener Mann, was er für seinen Sohn aussuchte, konnte schließlich nicht so schlecht sein, oder? Doch immer wieder packten ihn die Zweifel und zerrten an ihm. Irgendwann musste er sich doch seinem Vater stellen, so wollte er doch nicht sein gesamtes restliches Leben so verbringen wie der alte Mr. Cunningham es ihm vorzuschreiben versuchte.

Doch die Angst hinderte ihn daran. Irgendwann gab er es auf und setzte sich auf eine Bank in der Nähe des Hauses hin, enttäuscht von sich selbst und der ganzen Welt. Er war nun 17 Jahre alt und musste sich endlich entscheiden was er mit seinem Leben anfangen wollte, oder musste. Doch er hatte immer wieder das Gefühl das er es nicht konnte. Er war noch nicht so weit. Aber alle erwarteten es von ihm, als ältester Sohn hatte er die komplette Verantwortung. Und die lässt sich nun mal nicht so leicht wieder loswerden. Frustriert schaute er auf die Gegenüberliegenden Häuser und fragte sich wie die Leute dort wohl leben mögen. Bisher hatte er nie verstanden weshalb sein Vater sich ausgerechnet dieses Viertel ausgesucht hatte um seine Kanzlei zu gründen, schließlich gab es weit bessere, angesehenere Viertel als diese hier. Doch der alte Mann blieb stur und beharrte darauf, dass dies der perfekte Ort sei um zu arbeiten und den Umsätzen zufolge die er mittlerweile gemacht hatte, stimmte es. Verzweifelt fuhr sich der junge Mann durchs Haar und schloss die Augen. Irgendwas musste er unternehmen, irgendetwas. Er wollte nicht den Rest seines Lebens in dieser Straße arbeiten, wollte keinen elenden Papierkram erledigen und die Leute vor Gericht vertreten. Ja er wollte noch nicht einmal im alten Herrenhaus leben. Edmund riss die Augen auf und lächelte müde. Ja, er wollte es nicht, hatte es noch nie gewollt, diesen ganzen Prunk, und die vielen nichtsnutzigen Zimmer, die Polster und Silbertabletts. Das war nicht seine Welt und er wollte auch nicht, dass es seine Welt wird. Jemals. Doch leider hatte er keine Wahl, es sei denn er würde einfach weglaufen. Doch was bringt das schon? Er hatte nur bedingt Zugriff auf das Familienvermögen, beziehungsweise gar keins. Sein Vater vertraute niemandem Geld an. Außer sich selbst natürlich. Und selbst wenn er es schaffen würde unbemerkt wegzukommen, was sollte er danach mit sich anfangen? Frei sein. Natürlich das wollte er schon immer, aber niemand würde ihn jemals in die Gesellschaft aufnehmen, er müsste sich ein Leben ausdenken, das er nie hatte und alle Leute in seiner Umgebung belügen. Nein das konnte er nicht, und das wollte er auch nicht.

Gerade als er es übers Herz gebracht hatte wieder nach Hause zurückzukehren und von der Bank aufstand um sich sein Hemd glatt zustreichen hörte er einen jähen Aufschrei, der aber sofort wieder verstummte. Edmund hielt abrupt inne und lauschte. Doch nichts geschah. Irgendetwas an diesem Schrei ließ ihn innehalten. Es war der schmerz der daraus klang, Verzweiflung, Wut. Was wenn…? Wenn jemand Hilfe brauchte? Er zählte bis 10 um wieder ruhig zu werden und lief so schnell seine Beine ihn trugen in die Richtung aus der er den Schrei vermutete. Er lief raus aus der Regent Street in eine Seitenstraße die er noch nie zuvor bemerkt hatte. Sie war schmal und allem Anschein nach recht schmutzig. Die Häuser schienen sich alle nach inne zu beugen und wäre Edmund nicht dort durchgerast, so wäre er gewiss nach 10 Schritten wieder umgekehrt. Als er vorbei an den kleinen Balkonen, der schmalen Straße und den umliegenden Exkrementen gelaufen war sah er noch immer nichts und hörte auch nichts. Das Ende der Straße öffnete ihm den Weg zu einem Platz auf dem am Wochenende vermutlich Obst und Gemüse angeboten wurden und an den, sofern er es richtig sah, vier weitere Seitenstraßen mündeten. Verzweifelt stöhnte er unwillkürlich auf.

Sein Atem ging nur ein wenig schneller als gewöhnlich aber in seinem Innersten sah es schrecklich aufgewühlt aus. Er wollte Helfen, demjenigen der diesen fürchterlichen Schrei ausgestoßen hatte zur Hilfe kommen, aber er wusste nicht wo er war, oder sein könnte. Er stellte sich an den Anfang jeder der Seitenstraßen und lauschte, doch an keiner hörte er etwas. Nichts. Alle Bewohner waren schon zu Bett gegangen. Aus purer Verzweiflung heraus schlug er die Richtung zu der am weitesten gelegenen Straße ein. Aber diesmal lief er nicht, er wusste ja noch nicht einmal ob es der richtige Weg war, nein diesmal ging er gemächlich her, so als würde er einen abendlichen Spaziergang machen. Die Melbourne Street, wie er auf einem Schild lesen konnte, war noch weitaus enger als die vorherige , aber hier stand am Ende eine Laterne, sodass es nicht ganz so trostlos aussah und der Gestank war auch nicht übermäßig schlimm. Edmund schlenderte an den alten Häusern vorbei und strich mit den Fingern über ihre Fassaden.

Auf einmal fassten seine Finger ins Leere und er blieb verdutzt stehen. Erneut verruchte er an derselben Stelle etwas zu fassen zu bekommen doch dort war nur Luft. Der Gang war etwa 60 cm breit und nichts für Leute die sich nicht gerne einengen lassen. Aber Edmund kam eine Idee. Wenn er ein Peiniger wäre, würde er sich doch auch einen weg aussuchen, der dunkel und verlassen war, wo niemand einen finden könnte. Das Adrenalin strömte gerade nur so in seinen Körper und er schlüpfte in den staubigen Gang hinein, doch all seine Fantasien verpufften zu nichts. Der Gang war viel zu eng für zwei Personen, wenn sie überhaupt jemals hier waren, so sind sie hier doch nur vorbeigekommen. Enttäuscht von sich selber blieb er am Ende des Ganges stehen und lehnte sich gegen die dreckige Wand. ER müsste sich nachher noch eine richtig gute Ausrede einfallen lassen um seinen Eltern die verschmutze Kleidung zu erklären. Gerade in dem Moment in dem seine Gedanken von dem vermeidlichen Verbrechen abschweiften, hörte er ein leises, aber doch wahrnehmbares Wimmern und gleich darauf einen dumpfen Schlag. Edmund sperrte die Augen auf und lauschte angestrengt. Sein Herz schlug ihm bis zum Hals und er wusste nicht was er tun würde wenn es zu einem Kampf kam. Seinen Degen hatte er nicht dabei, und auch keine Pistole oder etwas ähnliches, er würde sich nur auf sich und seine Arme und Beine verlassen müssen. Edmund dachte nach. Das Wimmern war zwar leise gewesen, doch trotzdem hatte es sich angehört wie aus nächster Nähe.

Doch es gab nicht viele Möglichkeiten wo es sein könnte. Lediglich ein rechts und ein links. Die linke Seiten Straße war allerdings zu hell erleuchtet. Nach kurzem Überlegen bog er nach rechts ab. Die gesamte Gegend erinnerte ihn nicht gerade an Wohlstand und Etikette, wie er es von Zuhause gewohnt war. Das hier war eine ärmliche Gegend und wieder einmal fragte er sich weshalb sein Vater ein Haus so nah an diesem Viertel gekauft hatte. Doch er hatte keinen Platz und keine Zeit sich über derartiges den Kopf zu verbrechen. Er musste den Armen Menschen finden der offenkundig nach Hilfe dürstete. Vorsichtig setzt er einen Fuß vor den anderen und lauschte angestrengt. Soweit er sehen konnte war niemand auf der Straße, also tastete er mit den Händen wieder die Wände ab, um einen eventuellen Gang zu entdecken. Sein Vertrauen ließ ihn nicht im Stich und schon bald tastete er sich durch einen schmalen, dunklen und scheinbar ewigen Gang. Irgendwann in der Mitte vernahm er leises Geflüster und das selbe Wimmern, dass der vorhin schon gehört hatte. Doch diesmal hörte er genauer hin. Das Wimmer, dass er so selbstverständliche einem Mann zugeschoben hatte, klang mittlerweile ziemlich weiblich für ihn und die nächste Sekunde bestätigte seine schrecklichen Verdacht.

„Bitte! So lasst mich gehen! Ich… ich weiß wirklich nichts!“, sie schluchzte kaum hörbar und ihr Peiniger flüsterte etwas, was Edmund jedoch nicht verstand. War es wegen der leisen Stimme, oder wegen seines aufgeregten Gemütes? Dort wurde eine Frau festgehalten! Und vermutlich hatte sie große Schmerzen. Der junge Mann trat einige Schritte näher und versuchte mehr von der Unterhaltung zu hören zu bekommen, doch es war vergebens. Der Schurke sprach viel zu leise, nur das wiederholte flehen der Frau bestätigte Edmund das dort jemand war. Nachdem er einige Minuten so verharrt hatte und gerade bereit war aus seinem Versteck zu schlüpften und es mit dem offen kundig gewalttätigen Mann aufzunehmen, sprach er zum ersten Mal deutlich. „Lady, ich schwöre bei dem Leben meiner armseligen Mutter, wenn ihr mir nicht augenblicklich die Wahrheit sagt, werdet ihr es noch bereuen.

Das verspreche ich euch!“ Lady! Edmund war so perplex das er sich einen Zentimeter zu rühren wagte und wie erstarrt dort stehen blieb.
„Aber wenn ich es euch doch sage! Ich weiß nichts.“, schluchzte sie. Edmund hörte wie der Mann enttäuscht mit der Zunge schnalzte und gerade als er die Worte „Schade. So ein schönes Gesicht… verschwendet.“, hervorbrachte, sprang Edmund aus seinem Versteck und rannte blindlings auf die frau und ihren Peiniger zu. Doch es war zu dunkel und so sehr er sich auch bemühte, sehen konnte er bei bestem Willen nichts. Doch es hatte schon gereicht. Er hörte wie schnelle, schwere Schritt irgendwo in der Dunkelheit verschwanden und gerade als er ihm nachrenne wollte, blind vor Wut hörte er das stöhnen der armen Frau. Er folgte dem Klang ihrer Stimme und kniete sich, wie er hoffte, vor sie hin. „Mylady, seit ihr wohlauf?“, war das erste was der junge Mann sie fragte, doch überzeugte er sich gleich selbst davon das dies nicht der Fall war. Die Frau griff mit ihren schlanken Fingern nach seiner Hand und führte sie zu ihrem Bauch. Dort wo er den Stoff ihres Kleides erwartete war ein Messer. Er wich unwillkürlich einen Schritt zurück und glaubte die Frau würde lächeln. Das einzige was sie noch sagte bevor sie zusammenbrach war ein Wort. Darin lagen Hoffnung, Schmerz und der letzte Hauch ihres Lebens. Ein Wort das die Welt von Edmund zu Trümmern legte. Ein Wort das mehr vermuten ließ, als es tatsächlich war. Ein Wort.
Hilfe.

KAPITEL  II  (Chase)

Chase‘  Kopf fühlte sich so an als würden dort Bauarbeiten stattfinden. Überall hämmerte es, alles hallte und jedes Geräusch tat weh. Nicht das es viele Geräusche gegeben hätte. Genauer gesagt hörte er rein  gar nichts bis auf ein relativ regelmäßiges bieep.            

  Er hatte keine Ahnung was das sein könnte und er befand sich nicht gerade in der Verfassung darüber nachdenken zu wollen. Ehrlich gesagt, wollte er über rein gar nichts nachdenken, sondern wieder in diesen warmen, weichen Traum zurückkehren, in dem er gewesen war, bis ihn jemand an die harte, kalte Realität gebracht hatte, wo er sich nun befand. Chase versuchte den Kopf ein wenig zu drehen und bereute es sogleich, als ihm ein heftiger schmerz durch den gesamten Körper jagte. Das bieep- Geräusch wurde lauter und unregelmäßiger. Okay, also lieber nicht bewegen. Mir Solls recht sein, dachte er und versuchte ganz ruhig zu atmen. Nach und nach beruhigte sich das Geräusch allmählich und nun wurde Chase  auch misstrauisch was es mit der ganzen Situation auf sich hatte. Das Problem bei der Sache war nur, dass er nicht nur nicht wusste wo er war, sondern auch warum er an diesem wo war.

Er konnte sich nicht mehr an die letzten 48h erinnern, aber sonst war mit seinem Gedächtnis alles in bester Ordnung. Hoffte er zumindest. Er verharrte in völliger Starre, ca. 5 Minuten lang, danach wollte er Informationen. Die einfachste, und dümmste Lösung (wie sich später herausstellte), war daher einfach die Augen zu öffnen. Aber sobald er es getan hatte, verfluchte Chase sich bereits selbst und zwar nicht im Stillen, was ihm jedenfalls die Erkenntnis brachte, nicht stumm geworden zu sein. Es war als prasselte auf ihn pures Licht herab. Hell und durchdringend, stürmte es auf seine Augen ein und brannte sich dort fest. Der Schmerz den er dabei spürte, war fast gleichzusetzen mit dem, den er beim Drehen seines Kopfes verspürt hatte. Aber auch nachdem er die Augen wieder geschlossen hatte, drehte sich alles und er sah lauter bunte Punkte, wie sie fröhlich vor seinem Auge hin und her tanzten. Chase stöhnte auf und versuchte angestrengt wieder in den Traumlosen Schlaf zu verfallen, doch die Punkte blieben hartnäckig. Sehr zu seiner Enttäuschung. Mittlerweile hatte er aber eine ganz gut Idee was das Biep- Ding sein sollte. Chase war sich ziemlich sicher, dass es dieser Apparat war, mit dem man die Herzfrequenz ablesen konnte. Im ersten Moment war er erleichtert, dass es dafür eine logische Erklärung gab und diesebieps nicht nur in seinem Kopf waren, bei genauerem Nachdenken jedoch, fand er es ganz und gar nicht beruhigend, denn dieser Apparat steht gewöhnlich nicht bei ihm zuhause, was bedeutet das er in einem Krankenhaus sein musste. Das würde auch das grelle Licht erklären. Chase  wollte aber nicht darüber nachdenken und war mit seinen Kräften auch bereits am Ende. In nicht einmal einer Minute befand er sich in dem ruhigen Schlaf, den er sich so sehnlichst gewünscht hatte.

Als er das nächste Mal wach war, überlegte Chase es sich zweimal bevor er die Augen öffnete, und blieb bei der Entscheidung es lieber sein zu lassen. Doch irgendwann hatte er keine Lust mehr die Innenseite seines Augenliedes anzustarren und öffnete vorsichtig die Augen. Das erste was er sah war nicht weiß. Es waren zwei riesige blaue Augen die ihn anstarrten und Chase ließ einen Unterdrückten Schrei los. Er wusste das es Kindisch war, aber er schloss die Augen wieder, in der Hoffnung das alles nur Einbildung gewesen sei und er gleich wieder die lustigen bunten Kreise sehen würde, sobald er die Augen öffnete. Aber etwas, bzw. jemand zerstörte diese Hoffnungen, indem sie, denn es war eindeutig eine sie, mit honigsüßer Stimme seinen Namen sagte. Und das war’s. Chase Hoffnungen verpufften wie eine Seifenblase. „Chase?“, fragte das Mädchen nun eindringlicher, so als wollte sie unbedingt, dass er die Augen wieder öffnete. Also tat er ihr den Gefallen und diesmal bekam er keinen Herzinfarkt beim Anblick ihrer Augen,  denn sie saß nur noch auf der Kante seines Bettes.

Jap. Definitiv ein Krankenhaus. Chase musterte sie eindringlich. Sie war hübsch, hatte langes, braunes Haar, blaue (Große!) Augen, und war ziemlich schlank. Alles in allem hatte er nichts gegen einen solchen Besuch. Aber irgendwas an ihr kam im so vertraut vor, die Stimme die Augen… alles an ihr wirkte so nach… Familie. Als sie sich zu ihm umdrehte war Chase sicher sie zu kennen. Das Mädchen lächelte ihn traurig an und drückte seine Hand. „Hey. Alles klar?“ Chase schluckte. Er KANNTE sie. „Ehm sicher.“  Aber eigentlich wollte er etwas anderes sagen. Oder eher fragen: Wer bist du? Was machst du hier? Was mache ICH hier? Wieso kenne ich dich? Was ist passiert? Aber er sagte nichts davon, sondern sah sie nur skeptisch an. Da sprach sie wieder. „Ich hab mir so Sorgen um dich gemacht Chase. Du hättest nie… So was… Also…“ Sie rang nach Luft und gab schließlich mit einem Schulterzucken auf. Wer bist du? Was machst du hier? Was mache ICH hier? Wieso kenne ich dich? Was ist passiert?

All diese Fragen schwirrten in seinem Kopf herum, doch das einzige was er hervorbrach war ein kurzes „Hmpf.“ Chase wusste noch nicht einmal was das überhaupt bedeuten sollte und hätte sich am liebsten mit der Faust ins Gesicht geschlagen, wenn er nicht davon überzeugt gewesen wäre, dass es höllisch wehtun würde. Das Mädchen lächelte ihn sanft an. Ihre Augen ließen ihn immer noch nicht los. Sie waren ihm so bekannt… die Farbe hatte er schon einmal bei irgendjemandem gesehen. Eine Mischung aus dem Ozean und Seetang mit einem Touch Sonne. Aus irgendeinem Grund kam er auf die dumme Idee, dass es seine Augen sein könnten. Doch je länger er sich einreden wollte, dass er etwas ziemlich, ziemlich schweres auf den Kopf bekommen haben musste, desto mehr ließ ihn der Gedanke nicht mehr los. Chase dachte nach. Welche Augenfarbe hatte er eigentlich?

Wow. Mehr konnte er dazu nicht mehr sagen. Aber eigenartigerweise wusste er die Antwort nicht. Er hatte keine Ahnung welche Augenfarbe er hatte. Chase lachte verbittert auf und das Mädchen sah ihn an, als wäre er gerade vom Mars höchstpersönlich, auf einem Känguru hergekommen. „Alles in Ordnung?“, fragte sie misstrauisch.

„Welche Augenfarbe habe ich?“, bevor er darüber nachdenken konnte, geschweige denn wusste, dass er vorhatte sie das zu fragen, war der Satz  schon seinen Lippen entschlüpft und hing nun unbeantwortet in der Luft. Chase guckte überallhin, nur nicht in ihre Augen, die ihn nur noch mehr abtaten. Sie schrien geradezu ein Wort: Freak

Aber zu seiner großen Überraschung, antwortete sie ihm. „Blau. So wie meins Chase. Weißt du das nicht mehr?“ Das Einzige, was er denken konnte war: HA! Ich hatte Recht! Doch er hütete sich davor, auch das noch laut auszusprechen. Stattdessen sagte er etwas. Etwas das nicht auf Hmpf, einem Lachen oder dummen Fragen basierte. „Ich… nein. Also ich weiß es nicht mehr. Ich hab mich das nur gefragt… also weil ich dich doch kenne. Aber ich weiß nicht woher, aber ich hab dich schon mal gesehen. Ich weiß auch nicht wo genau. Aber etwas an deinen Augen… sie sahen so vertraut aus. Und naja, da wollte ich wissen wo ich ihre Farbe schon einmal gesehen habe. Ich hoffe du hältst mich jetzt nicht für eine totalen Freak.“ Chase atmete ruhig ein und aus, aber das Mädchen sah so aus, als würde sie gleich zusammenbrechen. Chase dachte nochmal über das gesagte nach und fand das, bis auf ein zwei Passagen, es wohl keineswegs schlimmer sein konnte als Hmpf. Trotzdem, etwas schien das Mädchen zu irritieren, nein nicht irritieren, sie war… verletzt? Wütend? Enttäuscht? Chase traute sich nicht irgendetwas zu sagen, oder sie auch nur anzusehen, also schaute er sich mit geheucheltem Interesse in seinem Zimmer um. Nichts war ungewöhnlich.  Alles sah genauso aus wie jedes X-beliebige Krankenhauszimmer. Da er nicht die ganze Zeit auf einen Stuhl, oder einen Fernseher starren konnte, schaute er sich wieder das Mädchen an.

Sie schien nachzudenken. Chase öffnete den Mund um  etwas zu sagen. Dabei wusste er ja selbst noch nicht einmal genau was. Wahrscheinlich wollte er sich entschuldigen, oder wieder einmal irgendwas Zusammenhangloses daherreden. Darin war er ja offensichtlich ziemlich gut. Schließlich räusperte sich das Mädchen und Chase sah sie mit echtem Interesse an. Sie schluckte und schaute aber wieder weg. Gerade als Chase glaubte, dass sie es sich anders überlegt hatte, sprach sie. Leise und gut überlegt. „Chase, deine Augen sind blau und…“, sie holte tief Luft und er war sich sicher eine Träne gesehen zu haben.

„Meine sind es auch. Blau. Dasselbe Blau wie Deins.“ Sie sagte nichts mehr und schaute auf ihre gefalteten Hände. Chase war sich sicher, dass sie ihm versuchte irgendetwas Wichtiges zu sagen. Irgendetwas bedeutendes, aber er wusste nicht was. Angestrengt dachte er nach. Blau…blau…blau. Er stellte sich das Blau ihrer Augen vor und versuchte es sich in seinen Augen ebenfalls vorzustellen. Dasselbe blau. Verdutzt öffnete er den Mund und starrte sie unentwegt an.  Chase hörte wie das Biepdings immer lauter wurde und hätte es am liebsten aus dem Stecker gezogen, aber er hielt sich davon ab. Das Mädchen schaute ihn traurig an und er konnte nur erahnen was in ihr vorging. Er konnte es nicht glauben, wie offensichtlich es doch war. Wieso hatte er so lange gebraucht um es zu bemerken? Sie lächelte matt und schaute ihm direkt in die Augen.

Das was sie sagte, schien so unwirklich für Chase, so unvorstellbar. Nicht das er kategorisch dagegen gewesen wäre, aber es war schlecht. Sehr schlecht. Nicht die Tatsache an sich, sondern das er es nicht bemerkt hatte. Das er SIE nicht erkannt hatte. Gott wie konnte das nur sein? Er versuchte sich eine logische Erklärung auszudenken, eine die nicht lautete, dass er alles vergessen hatte, eine Erklärung die nicht so schrecklich war.

Eine, die erklärte weshalb er seine eigene Schwester nicht erkannt hatte.

KAPITEL III (Reese)

Reese‘ Augen ruhten auf der Decke über ihr und sie strich mit den Fingern über die Wand neben ihrem Bett, während sie darauf wartete das der Wecker endlich klingelte. Noch 15 Minuten. Noch 15 Minuten bis sie aufstehen, duschen, sich anziehen, frühstücken und zur Schule gehen musste. 15 Minuten, und der Tag würde beginnen. Sie dachte daran was heute passieren würde, welches Ereignis sich heute zutragen würde und schnappte erschrocken nach Luft. Heute war Mittwoch. Heute würde sie den Palast des Präsidenten besuchen gehen. Auf einmal konnte Reese es kaum noch erwarten, den Wecker endlich klingeln zu hören und den Tag beginnen zu lassen. Sie war voller Vorfreude und positiver Energie. Als der Wecker mit seinem monotonen Klingeln anging, war Reese schon auf den Beinen und öffnete die Jalousien. Der Tag versprach schön zu werden, die Sonne schien und es waren nur wenige Wolken am Himmel. Obwohl sie es kaum erwarten konnte sich fertig zu machen, blieb sie länger als gewöhnlich vor ihrem Fenster stehen und schaute nach draußen. Alles sah so friedlich aus, so ruhig. Auf den Straßen war fast niemand, die meisten Häuser waren noch dunkel und die Jalousien herunter gezogen, aber trotzdem gefiel dieses Bild Reese. Es schrie geradezu nach Harmonie. Perfektion. Mit einem Lächeln auf den Lippen nahm sie sich ihre Identifizierungskarte und schlich aus ihrem Zimmer ins Bad, wo sie die Tür mit größter Mühe unauffällig schloss. Nachdem sie sich die Zähne geputzt hatte steckte sie ihre Karte in das Lasergerätneben der Dusche und wartete, auf den ihren altbekannten Piep Ton, den das Gerät immer von sich gab wenn es mit dem Scannen durch war. Reese schaute nur mit halbem Interesse dahin, sie verstand das System mit den Karten nicht und nichts in ihr wollte es verstehen. Soweit sie wusste, verstand niemand was es damit auf sich hatte. Sie wusste lediglich das dieser Apparat gemein war. Zumindest zu ihr. Natürlich es war nur zu ihrem besten und alles wurde mit Formeln berechnet, aber trotzdem ließ sie das Gefühl nicht los, dass es sie nicht mochte. Seltsam das von einem Stück Plastik zu denken.

Nachdem sie ihre Karte behutsam auf einen Schrank gelegt hatte und ihre Duschzeit angesehen hatte, nur  5 Minuten! stieg sie vorsichtig in die Dusche und wusch sich mit aller Hast die Haare. Kurz bevor das Piepen wieder einsetzte und das Wasser abgeschaltet wurde, stieg sie, noch immer leicht wütend, aus der Dusche und föhnte sich die Haare. Mittlerweile musste es ca. halb acht am Morgen sein, also gab es keinerlei Grund leise zu sein. Als sie wieder in ihrem Zimmer stand, steckte sie ihre Karte in den Laser vor ihrem Schrank und wartete Geduldig auf das Piepen. Bevor Reese die Karte herauszog, musste sie noch den Anlass auf das kleine Board schreiben, zu welchem der Kleiderschrank ihr die Auswahl an Kleidern präsentierte. Sobald sich die Tür öffnete stand Reese vor vier Kleidern und einem Rock mit weißer Bluse, unter denen sie auswählen konnte was sie heute anziehen würde. Alice entschied sich für ein blaues Kleid,welches bis zum Knie ging und mit weißer  Spitze  verziert war. Dazu zog sie sich die passenden weißen Ballerinas an und verließ glücklich das Zimmer. In Gedanken war sie schon beim Palast, welchen sie nur von Fotos und Dokumentationen her kannte, aber selbst dort gewesen war sie noch nie. Reese hüpfte beinahe ins Esszimmer, wo ihre Eltern und ihre kleine Schwester Catherine bereits saßen und den Morgendlichen Nachrichten lauschten.

„Guten Morgen Reese.“ Cathy schaute sie nur kurz an, lächelte schnell und widmete sich gleich darauf ihrer Müsli Schale. Reese begrüßte ihre Eltern und während der Laser ihre Werte durchlas, um zu bestimmen was sie essen durfte und was nicht, hörte die der monotonen, aber durchaus freundlichen Stimme der Nachrichtensprecherin zu. Als sie sich zu ihrer Familie an den Frühstückstisch setzte, schaltete ihr Vater gerade den Monitor aus und lächelte sie mild an. „Na Reese, wo gehst du denn so schick heute hin? Musst du nicht zur schule?“ Reese dachte daran ihrem Vater ein besseres Gedächtnis zum Geburtstag zu  schenken, verkniff sich aber die Bemerkung. „Heute ist doch die Führung im Palast Dad.“ „Stimmt ja, stimmt. Ich hoffe es gefällt dir dort. Es ist sehr schön.“ Das war’s, damit war die Morgendliche Konversation mit ihrem Vater auch schon weder vorbei. Reese Mutter reagierte da etwas enthusiastischer. Mary Collister, war eine hübsche Frau in den Vierzigern, mit blond-braunen Locken und hellen, aufgeweckten Augen. Und sie war sehr enthusiastisch, Reese Meinung nach ein bisschen ZU viel, aber das konnte sie ihrer Mutter nie sagen. Sie lauschte nur mit Halben Ohr was ihre Mutter ihr sagte und konzentrierte sich ganz darauf ihre Eier aufzuessen. Nachdem sie fertig war, wartete sie darauf bis ihre Mum zu Ende gesprochen hatte, verabschiedete sich und verließ das Haus.

Einmal vor der Haustür, hätte sie nichts so schnell wieder hineingebracht und so stand sie einfach da. Das Gesicht zur Sonne gestreckt, die Schultasche in der Hand und ein Lächeln auf den Lippen. Nach einigen Minuten ging Reese langsam zum Bahnhof, vorbei an Häusern, Bäumen und Schulkindern ging ihr Weg und als sie schließlich am Bahngleis stand fühlte wie sie nervös wurde. Reese klammerte sich an ihre Tasche wie ein Ertrinkender an einem Rettungsring und wartete ungeduldig auf den Magnetzug, als jemand sie mit kalten Händen am Oberarm berührte, sprang sie ein wenig in die Luft und ließ einen undefinierbaren Laut von sich. „Gott ich bin es  doch nur. Keine Panik.“

Reese drehte sich um und blickte geradewegs in das fröhliche Gesicht von Maddie die unschuldig wie ein Lamm vor ihr stand und sie anlächelte. Reese ging unwillkürlich einen Schritt von ihr weg und schaute sie gespannt an. „Hey.“, flüsterte sie kaum hörbar und brachte schließlich doch noch ein Lächeln zustande. Am liebsten hätte sie sich selbst angeschrien, was sollte das denn? Gerade noch so gut gelaunt und voller freudiger Ungeduld, und jetzt konnte sie ihre beste Freundin schon kaum noch anlächeln. Das entging Maddison natürlich nicht und ihr Lächeln erstarb langsam auf ihren Lippen. „Alles in Ordnung bei dir? Du wirkst so…“ „Mir geht’s prima.“, unterbrach Reese sie und zeigte zwei Reihen strahlend weißer Zähne. Als der Zug geräuschlos zum Stehen kam sprach sie ein stilles Dankeschön aus und stieg kurzerhand ein. Der Morgendliche Zug war wie immer brechend voll. Die wenigen Glücklichen die einen Sitzplatz bekommen hatten, blickten nun sorgenvoll um sich. So als würden sie denken „Bitte trampelt mich nicht tot.“ Reese musste bei dem Gedanken unwillkürlich lächeln und sah wie Maddie sie stirnrunzelnd anschaute. „Und, bist du schon aufgeregt wegen heute?“, fragte Reese um das Thema auf etwas anderes zu lenken. Kurz sah sie auf Maddies grünen Augen etwas wie Erleichterung aufblitzen, dann aber, verdüsterten sie sich wieder. „Nein, nicht wirklich. Wenn es nach mir ginge, würden wir heute gar nicht dahingehen.“

Reese fragte sie ob sie nun völlig übergeschnappt sei. Wie kann jemand nur so eine negative Einstellung gegen den Palast haben? Es war doch das schönste Gebäude überhaupt. „Hey, nur weil du dort praktisch ein und aus gehen kannst, heißt das noch lange nicht das wir anderen kein Recht haben es ebenfalls zu sehen.“ Reese lächelte dabei, aber in diesem Satz war auch ein Körnchen Wahrheit. Maddies Vater war der Minister des Präsidenten und verkehrte täglich im Gebäude, wodurch Maddie auch öfter dort hinein konnte. Reese sah wie sie Luft holte, sichtlich überrascht von dem Kommentar ihrer Freundin. „Ich… das ist doch nicht…“, sie hielt für eine Millisekunde inne und sprach mit ihrer gewohnt lässigen Art weiter. „Hast Recht. Tut mir leid, ich darf nicht so egoistisch sein.“ Reese lachte, aber sie glaubte kein Wort von dem was Maddie gerade gesagt hatte. Die beiden Freundinnen redeten die restliche Fahrt über nur belangloses Zeug, bis sie schließlich ausstiegen. Nachdem sie einen Blick auf die Uhr geworfen hatten, und feststellen mussten, dass sie schon fast zu spät waren, sprinteten sie los, in Richtung der Cressons High, einem grauen, Modernen Gebäude mit bodenlangen Fenstern, dass ihre Schule darstellte. Als die beiden Mädchen, nach Atmen ringend, vor ihrer bereits vollständigen Klasse zum Stehen blieben, waren sie bereits geschwitzt und durstig, doch sie hatten keine Zeit sich auszuruhen,  denn die liebenswürdige Miss Thoss ging schnellen Schrittes sofort los. Der Fußmarsch dauerte etwa eine halbe Stunde. Vorbei an großen HäusernParkanlagen und Freizeiteinrichtungen gingen sie und Reese versuchte jedes Gebäude in sich aufzunehmen, so als wollte sie ein Bild davon machen.

Bereits von weitem konnte man die Mauer sehen, die die Parkanlagen des Präsidenten umgaben und sie waren genauso Prunkvoll wie Reese sie in Erinnerung hatte. Weiße, hohe Mauern mit einem kleinen silbernen Dach verziert und mit seltsamen Ornamenten geschmückt, sahen wie fast zu hübsch aus um wahr zu sein. Sie blieben direkt vor dem Tor stehen und ein Wachmann trat raus, woher wusste Reese nicht, also starrte sie den Mann in purer Faszination an. Nachdem er jeden die Identifizierungskarte abgenommen hatte und alle Lasern ließ, kam er wieder zurück, händigte jedem seine Karte aus und ließ sie eintreten. Dazu öffnete sich einfach ein Teil der Mauer und verschwand im inneren eines anderen Teilstücks. Reese blieb der Mund offen stehen und sie fragte sich ob die ganze Mauer innen hohl war. „Du kannst von überall reinkommen. Aber das dürfen wir gar nicht wissen.“, raunte ihr Maddie zu. Als Reese sich zu ihr umdrehte tat diese aber so als wäre nichts gewesen. „Also Schüler, hört mir zu. Ihr werdet jetzt Zeit haben alleine durch die Parkanlagen zu spazieren, für etwa eine Stunde. Danach treffen wir uns genau hier wieder und anschließend bekommen wir eine Führung wie etwa 3 Stunden dauern wird. Viel Vergnügen.“

Miss Thoss brauchte es kein zweites Mal zu sagen, alle Schüler beeilten sich in den Innenhof zu kommen und vor ihnen erstreckte sich ein Bild des Unfassbaren. Rees,  die so viel Schönheit noch nie gesehen hatte, konnte kaum begreifen, dass all dies echt sein sollte. Als erstes stellte sie fest, dass sie auf einem Boden aus Glas ging, und unter diesem Boden befand sich Wasser in dem fische munter hin und her schwammen. Erschrocken ging sie einige Schritte zur Seite, musste aber feststellen, dass in diesem Anfangsbereich alle Wege so gelegt waren. Reese ließ ihren Blick über die Teile des Parks schweifen, alle so verschieden, aber zusammen harmonierten sie fantastisch. Direkt rechts von ihr befand sich ein Rosengarten, mit den aller schönsten Farben und Formen die sie je gesehen hatte. Weiter hinten hörten die Wasserwege auf und wurden durchroten Kies ersetzt. Dort war ein Japanischer Garten, mit kleinen Wasserfällen, Bäumen, Bänken und allem was dazu gehört. Das erste was sie sah, als sie nach Links schaute, war das riesige Labyrinth das sich vor ihr erstreckte und aus Blumen bestand. Ebenfalls links war ein See, umgeben von weißen Statuen und Blumen. Es gab noch so viel mehr, aber all das konnte sie noch nicht sehen, es war zu weit weg. Bevor sie sich auf den Weg machte, begutachtete sie noch den Palast an sich. Auch der Enttäuschte sie nicht. Er war groß, ja geradezu riesig! Und er bestand auf vielen Fenstern, viel Silber und anderen wertvollen Edelsteinen die wahrscheinlich sowieso nur als Dekoration da waren. Ganz oben befand sich eine Kuppel, aber Reese wusste nicht was das sein sollte. Sie hatte noch nie etwas Vergleichbares gesehen. Einen kurzen Moment lang, wünschte sie sich mit Maddie tauschen zu können.

Wie gerne würde sie jede mögliche Minute ihres Lebens hier verbringen. Alleine hier zu stehen und all diese Schönheit zu betrachten ließ ihr Herz anschwellen. Als sie sich suchend nach Maddie umdrehte, um sie zu fragen wie man am sinnvollsten anfing durch alles hindurchzugehen, waren bereits alle verschwunden. Sie fand sich alleine auf dem gesamten Platz und konnte nur einige unscharfe Gestalten in den hinteren Teilen der Gärten erkennen. Na fein, dachte sie. Dann gehe ich eben alleine. Und das tat sie auch. Reese begutachtete jeden Zentimeter der Gärten, blieb staunend vor den Statuen stehen, schnupperte an den Rosen und berührte sanft die Büsche und Bäume. Das einzige was sie nicht genauestens betrachtete, waren die Wasserwege mit den fischen. Reese wusste nicht wieso, aber irgendwie waren diese Fische unheimlich. Reese hatte jegliches Zeitgefühl bereits verloren und hatte auch keine Uhr dabei, aber nichtsdestotrotz ging die unbeeindruckt auf das Labyrinth zu. Sie zögerte vor dem Eingang. Ihr Vater hatte ihr früher immer Märchen mit Labyrinthen erzählt, wie viele Menschen dort nie wieder rausgekommen sind und wie vorsichtig man sein sollte. Dann aber erinnerte sie sich noch an etwas anderes. Nämlich Dad‘s amüsierten Blick als sie fragte ob er wüsste wie man denn dort rauskomme. Und seine Antwort. Leichten Schrittes betrat Reese das Labyrinth und streichelte die Hecken, während sie geradeausging. Das Labyrinth hatte als Ausgang den eigentlichen Eingang, somit war es nicht sonderlich schwer wieder zurückzufinden, der Präsident wollte ja schließlich nicht, dass seine Bürger verschwinden. Je länger sie ging, desto stiller wurde es, aber Reese hatte nichts dagegen. Am liebsten wäre sie für immer hier geblieben. Gerade als sie um die linke Ecke bog hörte sie ein Geräusch. Verdutzt blieb Reese stehen und lauschte angestrengt. Es hörte sich wie ein Schluchzten an, ganz leise, aber dennoch da. Misstrauisch setzte sie einen Schritt vor den anderen und ging langsam vorwärts. Das Geräusch wurde immer deutlicher. Irgendwann blieb sie wie angewurzelt stehen und atmete heftig aus. Das konnte nicht sein. So schnell sie konnte lief sie um die nächsten Ecken, bis sie fand was sie gesucht hatte. Aber am liebsten wäre sie gleich wieder umkehrt. Das, was sie gefunden hatte, wollte sie nicht sehen. Und sie bezweifelte auch, dass sie heute den Rest des Plastes sehen würde. Langsam, aber vorsichtig ging sie weiter, den Blick starr auf ihre schluchzende Freundin geheftet, die am Boden saß und auf einen Vogel schaute. Reese wurde übel als sie den Rest sah. Maddie, ihre beste Freundin, seit sie denken konnte kauerte dort, in einem Labyrinth, auf dem Schoß einen toten Vogel, in der Hand ein blutiges Messer und schluchzte.

KAPITEL IV (Edmund)

Entgeistert schaute Edmund die sterbende Frau an und wusste nicht was er als nächstes tun sollte. Er konnte sie unmöglich zu sich nach Hause tragen, dazu war der Weg zu weit und sie schon zu schwach. Er musste sie irgendwo ablegen, um schnellstmöglich zu einem Arzt zu reiten, der dieser armen Frau helfen würde. Bedauernd betrachtete er sie und dachte angestrengt nach. Auf einmal kam ihm eine Idee. Das Haus seines Vaters in der Regend Street.

Ohne weiter nachzudenken, hob er die Frau vorsichtig hoch und eilte, so schnell er konnte durch die Gassen, die er bereits zuvor überquert hatte. Edmund schwirrte der Kopf und er hatte es nichts weiter als dem Zufall zu verdanken, dass er ohne Zwischenfälle nun vor dem Haus stand, dass seinem Vater gehörte. Mit einem kurzen Seufzen blickte er auf die Scheinbar schlafende Schönheit, denn nun, im Licht einer Laterne, konnte er ihre feinen Gesichtszüge und ihr tiefbraunes Haar, sowie ihre zarten Hände besser erkennen. Er konnte nur hoffen, dass es noch nicht zu spät für sie war. Schweren Herzens hämmerte Edmund an die Tür und wartete ungeduldig darauf, dass irgendjemand ihm wohl öffnen möge. Einige Sekunden später hörte er sanfte Trippelschrittchen die Treppe hinunterhuschen und wenig später blickte ihn Dorothy, die Haushälterin zornig an. Jedoch als sie die verwunderte Dame sah entfuhr ihr ein Schreckenslaut und sie schlug die Hände vor den Mund. „Dorothy lass mich rein! Siehst du denn nicht das sie Hilfe braucht?!“, Edmund hatte nicht beabsichtigt so schroff zu klingen, jedoch verließ ihn allmählich auch die Geduld. Dorothy stammelte irgendeine Entschuldigung und eilte schnell die Treppe hinauf um Edmunds Vater vorzuwarnen. Edmund bemühte sich dir schmale Treppe mit einer ohnmächtigen, wenn nicht gar toten Frau zu meistern und fand sich wenig später im Empfangsbereich seines Vaters wieder. Edmund hastete hinein, legte die Dame behutsam auf einen Diwan und fuhr sich durchs Haar. Bevor er einen klaren Gedanken fassen konnte hörte er auch schon die Stimme seines Vaters, wie sie wütend mit dem Personal sprach. Edmund durchlief das Empfangszimmer und stürmte, ohne zu klopfen, direkt in das Arbeitszimmer hinein, wo sein Vater, Dorothy, Frank der Diener und George der Bote standen. „Vater! Vater dort hinten liegt eine schwer verwundete Frau, ich glaube sie liegt im Sterben. Bitte kümmere dich gut um sie, ich muss einen Arzt suchen!“, Edmund wollte schon wieder rausstürmen, doch die Stimme des alten Mannes hielt ihn zurück. „Edmund! Dreh dich um Junge, genauso. Wovon sprichst du denn da? Eine Frau im Sterben? Hier? Und du willst einen Arzt holen?“

Edmund starrte seinen Vater entgeistert an und nahm sich vor, ihm jetzt lieber nicht die Stirn zu bieten, dafür war zu wenig Zeit. „Ja eine Frau, und ja sie liegt im Sterben ja sie ist hier und ebenfalls stimmt es, dass ich beabsichtige den Arzt zu holen, denn wie gesagt Vater, sie liegt im Sterben!“ Mr. Cunningham deutete ein Lächeln an und Edmund glaubte es keinen Moment länger hier aushalten zu können. Herr Gott, wie konnte sein Vater nur so gelassen sein, wenn im Nebenzimmer eine Frau verblutete??? „Fein. Aber George wird gehen. George laufen Sie zu Mr. Wilfred, die Straße runter, Hausnummer 27 und sagen sie ihm er soll sofort kommen. Warten Sie, ich  gebe Ihnen eine Mitteilung von mir, die Sie Ihm geben, wenn er nicht schleunigst kommen will. So hier bitteschön. Los nun beeilen sie sich doch!“, der Alte klatschte in die Hände und widmete sich wieder seinem Sohn, der wie erstarrt immer noch im Türrahmen stand und George verwirrt nachblickte. „Dorothy, was stehst du hier so rum? Los schau nach der Frau. Wo liegt sie noch gleich? Ach ja im Empfangszimmer. Ich hoffe sie blutete mir nicht die teure Garnitur durch. Setze warmes Wasser auf, tu was du für richtig hältst. Und Dorothy?“, „Ja Sir?“, fragte die kleine scheu. „Lass sie nicht sterben in Ordnung?“

„Ich werde mein Bestes tun Sir.“, sie knickste und war weg. Edmund ließ sich am Türrahmen zu Boden sinken und legte den Kopf in die Hände. Er konnte nicht glauben was soeben geschehen war. Wie neutral sein Vater doch geblieben ist. Er macht sich doch mehr Sorgen um die Polster, als um das Leben einer Frau. „Edmund, steh auf. Erklär mir jetzt bitte sofort, woher du sie hast und was passiert ist.“ Edmund blickte auf und funkelte seinen Vater wütend an. „Woher ich sie habe? Du denkst also ich habe sie irgendwo aufgegabelt, wie eine Mätresse?“ Er ballte die Hände zur Faust und stand, immer noch wütend, voller Hass auf seinen Vater auf und starrte ihn an. Doch der alte Mann ließ sich unbeeindruckt in seinen Sessel sinken und faltete die Hände. „Natürlich. Welche Erklärung hast du sonst für mich?“ Am liebsten hätte Edmund das selbstgefällige Grinsen seines Vaters aus seinem Gesicht gekratzt, geschlagen oder irgendwie anders entfernt. Doch dazu kam es nicht, denn George kam, gierig nach Luft schnappend ins Zimmer gestürmt. Edmund lief sofort zu ihm und hätte ihn am liebsten Geschüttelt, doch er wusste, dass der arme erst einmal zu Luft kommen musste. „Mr. Wilfred –keuch-hier-keuch-Nebenzimmer-keuch-kommt!“ Das ließ sich Edmund nicht zweimal sagen und eilte ins Nebenzimmer, wo der Arzt bereits vor der armen Frau kniete und ihren Puls fühlte. „Doktor lebt sie noch?“

Der Arzt lächelte müde. „Noch ja. Aber die Frage ist wie lange noch. Ich tue was ich kann, aber sie hat sehr viel Blut verloren.“ Edmund nickte und schaute schnell weg. Mr. Wilfred zog vorsichtig das Messer heraus und befahl Dorothy einige feuchte Tücher auf die Wunde zu legen. Derweilen nahm er ein dünnes Messer und schnitt ihr Kleid, inklusive Korsett in zwei Hälften. Edmund konnte diesen Anblick nicht ertragen, also ging er aus dem Zimmer und setzte sich geradewegs vor die Tür auf eine Treppenstufe. Wenn sie das überleben würde, hätte Edmund einige Fragen an sie. Zum Beispiel wer sie war. Oder was sie so spät draußen mit solch Zwielichtigen Gestalten zu schaffen hatte. Oder was der Bandit glaubte, dass sie wisse. So viele fragen, Fragen über Fragen, die alle auf Edmunds Kopf einhämmerten und ihm keine Sekunde Ruhe gönnten. Er wollte seinem Vater heute noch sagen, dass er kein Anwalt werden will, nicht das Familienerbe möchte und sich eine eigene Zukunft aufbauen will. Stattdessen saß er nun hier, in der Kanzlei seines Vaters, die Kleidung voller Blut und Schweiß, darauf wartend das der Arzt herauskam und ihm verkündete das er zwar alles versucht, die Dame jedoch trotzdem gestorben sei.

Denn so war es. Edmund glaubte einfach nicht daran, dass sie es schaffen würde. Das Messer, es war so tief drinnen und er hatte doch selbst gesehen wie viel Blut sie verloren hatte. Edmund verharrte mehrere Stunden auf der Treppenstufe, in gekrümmter Haltung, unfähig sich zu bewegen, oder einen klaren Gedanken fassen zu können. Irgendwann sah er durch einige spärliche Fensterscheiben die Sonne aufgehen und befahl sich selbst aufzustehen. Der Arzt war kein einziges Mal gekommen, aber Edmund wusste, dass es auch einen Hinterausgang gab, und der Arzt vermutlich dort lang gegangen sei. Frustriert von allem und gleichzeitig von nichts, öffnete er die Tür und betrat den Raum. Doch jegliche Spur von der Dame oder dem Arzt fehlten. Edmund spürte einen Kloß im Hals und wäre gleich wieder herausgerannt, als Dorothy hereinkam und ihn sah. Am Boden zerstört, in schmutzige Kleidern und dem Blick eines Toten. „Master Cunningham? Die junge Dame liegt im Zimmer ihres Vaters. “

Sie lächelte während sie sprach und führte Edmund durch die Tür.  Edmund schluckte und wendete sich dem Mädchen zu. Seine Augen waren blutunterlaufen und fürchterlich rot, ob von der schlaflosen Nacht, oder dem Schmerz den er empfand wusste er nicht. „Ist sie… Ist sie…tot?“, das letzte Wort hauchte er nur, unfähig es auch nur auszusprechen. Er hatte noch nie einen Menschen sterben sehen, noch dazu unter Dolch drastischen Bedingungen. Wenn ein alter Nachbar oder Verwandter starb, dann war das eine Sache. Wenn eine junge Frau, von einem Räuber erstochen wird, eine ganz andere. Dorothy starrte ihn diesmal ungehemmt an. Vermutlich spürte sie seine Schwäche. „Oh Nein. Der Doktor hat ihr geholfen, aber es steht noch nicht gut um sie hat er  gesagt. In den nächsten 24 Stunden wird sich zeigen ob sie leben oder sterben wird, meinte er.“ Edmund konnte kaum seinen Ohren trauen, es gab also eine Chance, dass sie überleben könnte? Vor lauter Freude umarmte er Dorothy, die ihren Augen kaum trauen konnte. „Wo ist sie nun? Ach Dorothy sag, ist sie aufgewacht?“ Dorothy nickte mitleidig. „Sie liegt nebenan. Und ja sie ist aufgewacht. Unter Schmerzen. Der Doktor hat sie wieder ins Land der Träume gebracht. Sie hat nach ihnen gefragt. Und ihren Namen genannt. Auf das Drängen eures Vaters hin.“ Edmund schaute sie entgeistert an. Sie war wach, sie hatte nach ihm gefragt und ihren Namen genannt. Die Freude darüber, dass sie am Leben war, ließ Edmund ausblenden, wie skrupellos sein Vater war. Mit einer raschen Verbeugung verließ er Dorothy und klopfte an die Tür seines Vaters. „Herein.“, ertönte die schroffe Stimme des alten Mannes. Edmund trat vorsichtig ein und spähte nach links und rechts. Als sein Auge fand, wonach er gesucht hatte ging er einige Schritte auf die schlafende Gestalt zu, die eingebettet in Kissen und Decken auf dem Bett lag, die Haare offen über die Schultern fallend. „Edmund! Komm her mein Junge! Wo wast du denn die ganze Zeit, hast alles verpasst. Komm her. Na los komm.“ Sein Vater stand am Fenster und hielt eine Zigarre in der Hand. Edmund knirschte mit den Zähnen. Ging aber trotzdem auf seinen Vater zu. „Was genau habe ich denn verpasst?“, fragte Edmund den Alten mit einem Blick auf die Frau. „Oh vieles. Es war wirklich sehr unterhaltsam.“

Unterhaltsam. Edmund ballte nur die Hand zur Faust und würdigte seinen Vater keines Blickes. „Sie ist aufgewacht.“ Edmund nickte. „Wieso hast du mich nicht holen lassen, als sie nach mir gerufen hat?“, fragte Edmund seinen Vater, obwohl er die Antwort nicht hören wollte. „Wie bitte?“

„Du hast mich schon verstanden.“

Mr. Cunningham lachte und Edmund zuckte bei jedem Luftholen zusammen. „Dich holen? Wieso denn. Das Arme Ding hatte nicht viel Zeit bei Bewusstsein.“

„Aber trotzdem hast du es geschafft sie zu fragen wie sie heißt. Und ich wette noch einiges mehr.“

„Ah wie gut du mich doch kennst. Natürlich habe ich sie gefragt. Was hätte ich denn sonst tun sollen Junge?“

Edmund schaute noch immer überallhin, außer auf seinen Vater. Das würde ihm den Rest geben. All diese unterdrückte Wut… Edmund fürchtete sie würde mit einem Mal herauskommen, sobald er in die verlogenen Augen seines Vaters blicken würde.

„Wie heißt sie?“, fragte er nach Minutenlangem schweigen.

„Wer? Oh natürlich. Ich habe gehofft,  dass du das fragst. Wollte dir ganze Spannung nicht schon vornewegnehmen. Ihr Name ist Amanda Winchester. Tochter von Lord Winchester.“ Diesmal drehte Edmund sich doch herum, mehr aus Schreck als Vorsicht. Die Tochter von Lord Winchester? Wieder einmal stürmten die Fragen auf ihn ein, hämmerten, schrieen, taten alles um beachtetet zu werden. Aber Edmund schluckte nur laut und sah seinen Vater fragend an. Der jedoch lächelte wie noch nie. Edmund hatte ihn noch nie so glücklich gesehen. Er wusste schon immer das mit dem Alten etwas nicht stimmte, aber sich über etwas derartig schreckliches zu freuen? Das war doch wohl zu viel des Guten.

Mr. Cunningham kicherte. Er kicherte. Entweder ist er verrückt, oder ich bilde mir das nur ein, dachte Edmund. „Ich sehe du verstehst mich nicht mein Junge.“

„Da hast du Recht Vater. Nicht das Kleinste Bisschen.“

„Schade. Dann werde ich dir mal helfen. Du hast die Tochter des Lords gerettet. Du hast ihr das Leben gerettet mein Sohn.“

Edmund nickte. „Soweit bin ich auch schon. Aber was…?“

„Was das bedeutet? Das bedeutet, dass du sie heiraten wirst Junge. Das bedeutet es.“

Im ersten Moment begriff Edmund nicht, was sein Vater gesagt hatte. Vielmehr er begriff es schon, doch er dachte er hätte sich das nur eingebildet und leide unter Schlafmangel. Als der Alte jedoch grinste wie ein kleines Kind und vergnügt an seinem Schnurrbart zwirbelte, erlosch diese Hoffnung und die kalte Wahrheit stürmte auf ihn herab. Entgeistert wandte er ich wieder der Dame zu. Amanda. Seiner Verlobten.

KAPITEL V   (Chase)

Entgeistert starrte Chase sie an und dachte, dass jetzt jemand unbedingt hinter dem Vorhang hervorspringen und „Reingelegt!!!“, rufen müsste, dass wäre nämlich das einzige, was ihn noch halbwegs beruhigen würde. Das musste ein Scherz sein, ein sehr geschmackloser Scherz, aber ein Scherz. „Grace Darwin .“

„Bitte was?“, Chase war so in seine Verschwörungstheorie vertieft gewesen, dass er gar nicht bemerkt hatte, dass sie etwas gesagt hatte.

„Grace, mein Name. Nur falls du dich das fragst.“ Chase starrte sie an als wäre sie von einem anderen Planeten geradewegs hierher geflogen um ihm irgendwie eins auszuwischen, aber das konnte selbst er sich nicht vorstellen. Mittlerweile dämmerte es ihm, dass Grace, überhaupt keine Witze machte und es würde auch niemand „Reingelegt!!!“, rufen. Er hatte sie wirklich vergessen, und nicht nur sie wie er mit Schrecken feststellte. ER hatte auch keine Ahnung wie seine Eltern hießen, geschweige denn aussahen.

„Oh tut mir leid. Ich war… vertieft.“ Das traf es noch nicht mal annähernd.

„Schon okay. Ich weiß gar nicht wie du dich jetzt fühlen musst. Aber…“, beunruhigt strich sie immer wieder dieselbe Stelle des Lakens glatt, „Weißt du noch etwas über, naja unsere Familie?“ Sie schaute ihn so hoffnungsvoll an, es fiel Chase ziemlich schwer die Wahrheit zu sagen.

„Tut mir leid. Würde es dir etwas ausmachen… na du weißt schon, mir etwas zu erzählen?“

Erst dachte Chase sie würde einen Rückzieher machen, aber nach einigen tiefen Atemzügen, fing sie an zu erzählen, obwohl man das nicht erzählen nennen konnte. Sie sagte eher abgehackte Sätze, die oft nicht zusammenpassten, aber besser als nichts. Im Endeffekt wusste Chase nichts. Außer das er noch einen Bruder hatte und seine Eltern viel beschäftigt waren. Der Rest war eher Hintergrundgeräusch. Aber er hütete sich davor, sie darauf aufmerksam zu machen, wer weiß ob sie das nicht endgültig fertig machen würde.

„Mum, Dad und John wollten heute noch kommen. Zumindest sagten sie das.“, Grace flüsterte den zweiten Satz beinahe und Chase fragte sich, ob seine Eltern oft Dinge versprachen und sie dann nicht einhielten. Doch bevor er Zeit dazu hatte wurde die Tür energisch geöffnet und ein kleiner Junge von etwa 9 Jahren kam hereingestürmt. Er lief direkt auf Chase zu und sprang auf sein Bett. Chase war zu geschockt und belustigt um nachzudenken wer dieser kleine Kerl war. „John, benimm dich. Chase ist noch ziemlich müde“, mahnte Grace den kleinen und Chase sah ihn erschrocken an. Das war also sein Bruder. Ähnlichkeiten konnte er nicht erkennen, aber er war lustig. Und redete viel, denn ohne auf Grace zu hören, redete und redete und redete er einfach drauf los. Irgendwann kam Chase nicht mehr mit und schaute auf die Tür. Irgendwann, nach gefühlten zwei Stunden, kam eine Frau herein, die Chase, wäre Grace ihr nicht aus dem Gesicht geschnitten gewesen, wahrscheinlich für eine Art Krankenhausanwältin gehalten hätte. Sie lächelte sofort, als sie Chase sah und kam langsam zu ihm herüber. Direkt hinter Ihr kam ein Mann, denn Chase als seinen Vater einkategorierte, bevor ihn gesehen zu haben. Er trug einen schwarzen Mantel, Krawatte und ein blaues Hemd. Sein Gesicht war sehr… interessant fand Chase. Dunkle Augen, Dunkle Haare, helle Haut, eine gerade Nase und hohe Wangenknochen. Obwohl Chase sich ziemlich sicher war, sich nicht für solche Dinge zu interessieren, fand er doch, dass sein Vater ganz ansehnlich war. Und offenbar vertrat er irgendeine Machtposition, denn allein sein Betreten des Zimmers füllte es komplett mit Autorität, als wollte es sagen „Los, erhebt euch, küsst mir die Schuhe!“, Chase schüttelte kurz den Kopf um dieses Bild zu vertreiben und wandte sich wieder seiner Mutter zu, diese saß mittlerweile im Sessel neben ihm und betrachtete ihn ausgiebig. „Wie geht es dir Liebling?“, Ihre Stimme war ganz anders als Grace’s. Weicher, melodischer und irgendwie beängstigend, denn Chase  lief ein Schauder über den Rücken. Trotzdem bemühte er sich zu lächeln.

„Prima. Ich fühl mich toll.“ Ein bisschen weniger Optimismus hätte es auch getan, fand er.

„Oh wie mich das freut! Du hast ja keine Ahnung welche Sorgen ich mir gemacht habe! Aber jetzt ist ja alles wieder in Ordnung.“ Sie lächelte ihn an und nahm seine Hand um sie kurz zu drücken.

Jaaaa…. Alles in Ordnung. Beunruhigt schaute er in Grace Richtung, die aber gelangweilt aus dem Fenster starrte.

Seine Mum kicherte, „Du hast ja keine Ahnung wie sehr du deinen Vater beunruhigt hast Chase. Er hat mehr oder weniger die gesamte Stadt auf den Kopf gestellt. Wahrscheinlich weiß jetzt jeder, dass du im Krankenhaus liegst. Das war nicht klug von dir Richard.“ Sein Vater kam langsam näher und guckte ein wenig grimmig auf das Bett. Nicht auf Chase, nur auf das Bett.

„Vielleicht hast du Recht. Aber was hätte ich denn machen sollen? Und außerdem wissen DIE doch immer welches Familienmitglied gerade was macht.“ Grimmig wandte er sich an Grace. „Nicht wahr Liebes?“ Bevor sich darüber Gedanken zu machen,  rekonstruierte Chase  das Gespräch nach. Die ganze Stadt? Und was meinte sein Vater mit „Sie wissen doch immer welches Familienmitglied gerade was macht.“? Wurden sie von Paparazzi verfolgt? Chase schob den Gedanken direkt beiseite, so absurd war er. Aber dennoch…

„Nun ja etwas Gutes hat es ja doch, schließlich hat Chase direkt das beste Zimmer bekommen, ohne eine nachfrage.“, warf seine Mutter ein.

Sein Vater nickte nur und ging auf und ab. Hätte Chase die Wahl, diese Familie wäre nicht seine erste, so viel stand fest. Er konnte nicht erklären wieso, aber sie beunruhigte ihn irgendwie. Kurz darauf klopfte jemand schnell an und öffnete die Tür. Es war eine Ärztin, die offenbar nach Chase sehen wollte. Als sie jedoch seine Eltern sah wurde sie erst blass, dann komisch blau und schließlich rot. Hastig machte sie einen Knicks und schaute nach unten.

Sie hat einen KNICKS gemacht, dachte Chase verblüfft. Warum um Himmels Willen hat sie einen Knicks gemacht?!

„Oh es tut mir leid. Ich wollte nur… nach ihrem Sohn sehen. Ich hätte mich vorher erkundigen müssen, ob er besuch hat.“

Anstatt das sein Vater gelacht hätte, guckte er sehr grimmig drein, sodass Chase sich am liebsten die Decke über den Kopf gezogen und nie wieder raus gekommen wäre.

„Sie haben Recht. Aber es ist in Ordnung. Nur machen sie es nächstes Mal richtig, ja?“

„In Ordnung Mr. President.“

Damit verließ sie den Raum und schloss die Tür hinter sich. Chase Mund stand sperrangelweit offen und er musste aufpassen um nicht los zuschreien.

Also DAS hatte Grace  definitiv nicht erwähnt.

KAPITEL VI (Reese)

Reese blieb wie erstarrt stehen, ihre weinende Freundin in einigen Metern Entfernung beobachtend. Obwohl Beobachten nicht ganz das traf was Reese tat. Sie starre Maddie fassungslos an. Sie musste das zwanghafte Gefühl unterdrücken einfach wieder zurückzulaufen und so zu tun als wäre sie nie hier gewesen. Vermutlich hatte ihre Freundin noch nicht einmal bemerkt, dass sie überhaupt da war, was für alle Beteiligten auch das Beste war, fand Reese. Zögerlich trat sie einen Schritt vor. Sie konnte einfach nicht verschwinden, obwohl alles in Ihr dagegen hielt und sie am liebsten einfach los geschrien hätte. Doch Maddie war ihre beste Freundin, vielleicht war es ja auch ein Unfall gewesen, dachte Reese. Doch sosehr sie es sich wünschte, dieser Gedanke hörte sich einfach falsch an. Irreal, unwirklich. Auch wenn es nicht wirklich ermutigend war, aber Alice fand es wahrscheinlicher, dass Maddie diesen kleinen Spatz einfach getötet hatte, als dass es ein Unfall war.

Doch obwohl Reese sich Mühe gegeben hatte keine Geräusche von sich zu geben, trat sie unvorsichtigerweise auf einen umliegenden Ast. Das leise Geräusch zerschnitt die Luft und die Temperatur sank um gefühlte 10 Grad. Maddies Schluchzen verstarb abrupt und sie drehte langsam den Kopf in Reese Richtung und blickte sie traurig an. Reese zerriss es fast das Herz, in die Augen ihrer Freundin zu schauen und diese Traurigkeit, Reue und all die anderen Gefühle lesen zu können. Wie hatte sie es nur wagen können, Maddie zu beschuldigen? Die beiden Freundinnen blieben einige Minuten lang so verharrt, taten nichts, als sich zu mustern. Irgendwann brach Maddie ein ersticktes Wort hervor, dass sie sicherlich viel Mühe gekostet hatte.

„Entschuldige.“

Bevor Reese etwas erwidern konnte, wandte Maddie sich ab und legte den Vogel behutsam auf die Erde. Endlich rührte sich Reese und erwachte aus ihrer Starre. Hastig ging sie zu ihrer Freundin hin und kniete sich vor ihr auf den Boden, den Vogel möglichst weit aus ihrem Blickfeld. Es musste mittlerweile schon ziemlich spät sein und vermutlich wurden sie bereits von ihrer Lehrerin gesucht. Es wäre schlauer sich gleich zu melden, aber mit einem Blick auf Maddie  entschied sie es lieber sein zu lassen. Ihre Freundin konnte nicht einfach wieder rausspazieren und so tun als sei nichts gewesen. Frustriert blickte Reese sich um. Es war gefährlich hier zu sitzen, den toten Vogel zwischen ihnen. Selbst wenn es unabsichtlich war, es war strengstens verboten einem anderen Lebewesen irgendeinen Schaden zuzufügen. Sie schauderte bei den Gedanken an die Strafe, die Maddie bevorstand, sollte man den Vogel jemals finden.

Unabsichtlich zuckte sie bei diesem Gedanken zusammen. Soeben hatte sie beschlossen, die ganze Sache für sich zu behalten und somit der Regierung ein Verbrechen zu verheimlichen. Und das inmitten der Gärten des Präsidenten.  Sie machte sich damit selber schuldig, aber sie hatte doch keine Wahl. Sie konnte nicht einfach ihre Freundin verraten um sich selber aus der Schusslinie zu begeben.

Aber immerhin hatte sie das Recht zu erfahren,was genau passiert war, oder etwa nicht?

Zögerlich fing sie an zu sprechen. „Was ist passiert, Maddie?“

Die Stille, die ihren Worten folgte, war noch bedrückender als die vorherige. Aber schließlich sprach Maddie mit ihr. Die Worte kamen nur zögerlich und zittrig. Aber immerhin, sie sprach.

„Ich…ich weiß es nicht. Nicht mehr.“ Sie sprach mehr zu dem Vogel als zu Reese und Maddie wirkte überhaupt nicht mehr wie normalerweise. Ihre Augen waren rot vor lauter Weinen und sie wirkten beängstigend hohl. Dunkel und hohl. Unruhig wich Reese einige Zentimeter von ihr weg und spielte mit den Kieseln zwischen ihren Fingern. Sie hob sie auf und ließ sie wie Sand zwischen ihren Fingern  zerlaufen, bis sie mit einem leisen Geräusch auf dem Boden aufkamen. Reese hatte das Gefühl, diese Steine würden ihr helfen  nicht völlig die Fassung zu verlieren.

„ Wieso?“

„Ich weiß es nicht. Ich weiß es nicht. Ich  weiß es nicht.“

Sie wiederholte die letzten Worte immer wieder, wobei sie aber immer leiser wurde, jedoch nicht aufhörte. Immer wieder diese vier Worte. Ich weiß es nicht. Währenddessen fing sie an mit den Händen ein Loch zu graben, dort wo die Pflanzen sich rankten und ein keliner Fleck Erde vorhanden war, grub sie ein Loch, unaufhörlich und beschwor dabei immer wieder die selben Worte. Ich weiß es nicht. Irgendwann stand Reese auf und legte ihr die Hand auf die Schulter. „Maddie.  Hör auf.“

Doch sie hörte nicht auf. Irgendwann war das Loch anscheinend tief genug und sie hob den leblosen, kleinen Körper wieder vom Boden auf und bettete ihn behutsam in das Loch. Kurz bevor sie ihn wieder zuschüttete hauchte sie noch ein letztes „Entschuldige“. Reese hätte am liebsten angefangen zu weinen, hier uns jetzt einfach weinen und auf dem Boden liegen bleiben, bis jemand kam um sie zu finden. Irgendwer. Und gleichzeitig wollte sie ihre Freundin schütteln, sie bei den Schultern packen und sie einfach schütteln. So lange bis alles wieder in Ordnung war. Doch sie hatte das Gefühl, dass keine ihrer Alternativen funktionieren würde.  Schließlich war Maddie fertig und sie setzte sich wieder vor Reese auf die Steine. Beide schwiegen eine Zeit lang. Reese überlegte was sie tun könnte, und Maddie? Sie wippte ihren Oberkörper hin und her und summte ein Lied vor sich hin.

„Ich war sauer.“

Im ersten Augenblick realisierte Reese überhaupt nicht, dass Maddie etwas gesat hatte. So unwirklich klang ihre Stimme, so zerbrechlich. Nichts weiter als ein Hauch. Deshalb dauerte es auch, bis der Sinn ihrer Worte zu ihr drang. Sauer. Sie war sauer gewesen und hat deshalb ein Lebewesen getötet. Sie war sauer gewesen und hat sich damit vermutlich ihr ganzes Leben zerstört. Obwohl sie für ihre Freundin mitfühlen sollte, wurde Reese mit einem mal auch sauer. Sauer auf Maddie. Darauf das sie einfach alles wegschmeißen wollte, darauf das ihr alles egal war. Darauf das sie nichts zu schätzen wusste und jetzt nicht nur sich, sondern auch sie in Gefahr gebracht hatte. Reese ballte ihre Handflächen zu Fäusten und funkelte sie wütend an.

„Du warst sauer?“

„Ja“, auch wenn ihre Stimme so zerbrechlich klang, Reese wollte kein Mitleid mehr empfinden. Maddie wollte, dass jemand sie jetzt bedauert, ihr Mut zusprach und sie tröstete. Doch den Gefallen würde sie ihr nicht tun. Sie hätte sich vorher überlegen müssen, welche Konsequenzen ihre Handlung haben würde. Aber nein, das konnte Maddie ja nicht tun.

Andererseits sträubte sich etwas in ihr, jetzt einfach wegzugehen. Woran genau das lag, wusste sie nicht. Aber sie wollte in diesem Moment auch nicht hier neben ihr sitzen, die Wahrheit war, sie hatte schlicht und ergreifend Angst. Und zu ihrem Beschämen hatte sie keine Angst um ihre Freundin, sondern um sich selbst. Davor, was nun passieren würde, was mit ihr geschehen würde, wie SIE es verkraften wird. Mit einem Seitenblick auf Maddie vergewisserte sie sich, dass es ihr aber noch schlechter ging. Auch wenn es für Reese schwer vorstellbar war, aber Maddie dachte vermutlich tatsächlich über die Zukunft nach, darüber was nun passieren würde und welche Konsequenzen sie davontragen müsste. Plötzlich durchfuhr Reese eine Welle voller Mitleid und Reue, erstes für Maddie, letzteres für ihren Egoismus.  Scheu trat sie einen Schritt näher und legte Maddie die Hand auf ihre Schulter.

„Maddie, ist schon gut. Wir kriegen das wieder hin. Ich verspreche es.“ Reese biss sich auf die Lippe, sie glaubte noch nicht einmal selber an ihre Worte, aber sie spürte wie Maddie stumm nickte. Erleichterung durchfuhr sie und sie hätte am liebsten laut gelacht, riss sich jedoch zusammen und kniete vor Maddie hin. „Maddie, alles wird gut. Niemand verurteilt dich.“ Lüge nicht, es macht nichts besser. Reese schüttelte ihre eigenen Gedanken fort und widmete sich wieder ihrer Freundin. Maddie starrte noch immer Leer ins Nichts und Reese zweifelte daran, dass sie überhaupt zur Kenntnis nahm, dass sie hier mit ihr redete. Nach einem langen und unbehaglichen Moment des Schweigens, brach Maddie selbst, schließlich den Bann.

„Was werden sie mit mir machen Reese?“ Auf diese Frage war sie nicht vorbereitet, sie hatte auch keine Ideen wie sie diese Frage beantworten sollte. „Maddie…“, weiter kam sie nicht, denn sie hörte Schritte, die immer näher kamen. Schwere Schritte auf dem Kies, die bedrohlich näherkamen.

Panik durchzuckte Reese und sie war starr vor Angst. Aus reinem Instinkt versuchte sie einen Fluchtweg zu suchen, doch sie wusste sehr genau, dass es schlauer war sich gleich zu stellen. Zu stellen. Wovor hatte sie eigentlich sosehr Angst? SIE hatte ja schließlich nichts gemacht, nicht im mindesten, dass einzige, das man ihr vorwerfen konnte, war, dass sie nicht gleich zurück zum Schloss gelaufen und es den Wachen gemeldet hatte, aber sonst auch nichts. Mit einem Mal seufzte sie erleichtert auf, diese Sache würde für sie keinerlei Konsequenzen davontragen. Doch für Maddie schon.  Reese fühlte sich schlecht bei dem Gedanken ihre Freundin zu verraten, doch  hatte sie denn eine Wahl? Wenn sie zu ihr stand würde sie ihre gesamte Zukunft aufs Spiel setzen und davor hatten ihre Eltern sie immer schon gewarnt. Sie konnte ihre Mutter förmlich hören wie sie leise aber bestimmt wiederholte: Handle nicht unbedacht Reese, du kannst so viel aus deinem Leben machen. Sorg dafür, dass du nie in eine Situation kommst die dir diese Chance nehmen könnte.

Wenn Reese darüber nachdachte verstand sie nicht so ganz, warum ihre Mutter ihr das immer gepredigt hatte, und ehrlich gesagt hatte es sie auch nie wirklich interessiert. Sie hatte ja auch nicht verstanden und begriffen, dass es wirklich solche Situationen gab, in denen man nicht nur als Sieger hervorgehen könnte. Wie jetzt zum Beispiel.  Mittlerweile hörte Reese die Wachmänner ganz deutlich, sie waren nur noch Sekunden von ihnen entfernt und sie war noch immer hin und her gerissen, zwischen Freundschaft und sich selbst. Maddie schien das Geschehen überhaupt nicht zu interessieren, sie spielte mit den Steinchen vor ihren Füßen und sah aus wie ein Geist. Für wen würde ich denn meine Zukunft aufs Spiel setzen? Maddie würde es mir noch nicht einmal danken, dachte Reese bitter. Sogleich bereute sie es. Maddie war verängstigt und schaltete auf Durchzug um nicht von ihren eigenen Gedanken gequält zu werden. Aber dennoch, wenn sie nun nie wieder wie früher wird? Bevor Reese sich darüber ernsthaft Sorgen machen konnte kam auch schon der erste Wachmann in seiner weiß-grünen Uniform um die Ecke gehechtet und blieb in einiger Entfernung stehen, die beiden Mädchen unter zusammengekniffenen Augen musternd. Reese stand unbehaglich zwischen dem Wachmann und ihrer Freundin und überlegte ob sie etwas sagen sollte.  Was würde wohl erklären, abgesehen von der Wahrheit natürlich, warum Maddie beinahe leblos am Boden kauerte und Reese und sie nicht pünktlich gekommen sind? Aber der Wachmann stellte keine Fragen, er stand einfach nur breitbeinig vor ihnen, die Augen zusammengekniffen und die Arme vor der Brust verschränkt. Nach einigen Sekunden des Schweigens, holte er sein Walke- Talke heraus. „Ben, Jeffry, ich hab sie gefunden. Im Sektor 8 des Labyrinths. Ich komme gleich mit ihnen raus. Wartet vor dem Eingang auf mich.“

Reese zuckte zusammen. Dass, was er gesagt hatte, klang nicht gerade aufmunternd und Trost spendend. Aber woher sollte er wissen was passiert ist? Reese dachte fieberhaft nach und würdigte Maddie keines Blickes mehr. Da sie so in ihren eigenen Gedanken versunken gewesen war, merkte sie erst im letzten Moment, dass Maddie aufgestanden war und sich langsam auf den Wachmann zubewegte. Sie schien keine Angst zu haben, oder überhaupt irgendwelche Emotionen. Maddie schritt einfach die wenigen Meter des Labyrinths hindurch und wirkte selbst jetzt, anmutig wie ein Engel.

Reese gab sich alle Mühe zu verstehen, doch sie konnte nicht. Stattdessen schaute sie nur gespannt zu, was passieren würde. Maddie blieb nur einige Zentimeter vor dem Wachmann stehen und schaute ihm geradewegs in die Augen. Einige Zeit passierte gar nichts, niemand rührte sich, es waren keine Geräusche zu hören, nichts. Es schien, als würde die Erde stillstehen.  Irgendwann sagte Maddie etwas. Vier kleine Worte. Für Reese schienen sie unverständlich, seltsam, unwirklich. Doch der Wachmann nickte nur einmal und schaute auf die Büsche. Genau dorthin wo Maddie den Vogel vergraben hatte. Aber das konnte nicht sein.  Reese hätte am liebsten geschrien aus lauter Frust. Was passierte hier? Maddie aber schien es zu wissen. Auch wenn Reese in einigen Metern Entfernung stand, konnte sie sehen dass sie weinte.  Sie versuchte es auch nicht zu verbergen, sondern stand einfach nur da und beobachtete den Wachmann dabei, wie er den Vogel wieder aus dem Loch holte. Reese konnte es nicht begreifen, oder wollte sie es nur nicht? Maddie hatte nur vier Worte gesagt. Nur vier.

Es tut mir leid.

KAPITEL VII (Edmund)

Nachdem sein Vater den Raum verlassen hatte, versuchte Edmund gar nicht erst, die Fassung zu behalten, sondern krallte sich am Fenstersims fest, in der Hoffnung dadurch wieder in die Realität zu gelangen. Nach mehreren tiefen Atemzügen brachte er sich dazu, loszulassen und sich auf einen Stuhl zu setzen. Für den Fall der Fälle. Mehrere Minuten saß er einfach nur da, den Kopf auf die Hände gestützt und mit einem leeren Ausdruck in den Augen und versuchte nichts zu fühlen, zu vergessen, keine Emotionen zu verspüren.

Doch so sehr er sich auch bemühte alles zu verdrängen, es gelang ihm nicht. Er konnte nichts verändern, selbst wenn er es gewollt hätte. Er konnte nichts besser machen durch seine Entscheidungen, alles was er tat würde nur alle ins Unglück stürzen. Nach einer Weile hob er den Kopf und betrachtete die schlafende Frau, die genaugenommen der Grund für sein Unglück war. Doch es wäre falsch ihr die Schuld daran zu geben, von einem Verrückten fast erdolcht zu werden und von ihm, Edmund, gerettet. Bei dem Wort gerettet verdrehte er die Augen. Er hatte sie vor dem Tod gerettet, doch keinesfalls von Unglück und Trauer. Es gab eigentlich keinen Ausweg, heiratete er sie, wären sie beide unglücklich. Heiratete er sie nicht, würde es für ihn nichts verändern, nach einer Weile würden sich schon alle Klatschmäuler wieder beruhigt haben und das Leben würde weitergehen wie bisher. Doch für sie, für sie wäre es das Ende. Gesellschaftlich gesehen. Sie würde ihre Stellung verlieren, ihr Geld, die Gunst ihres Vaters, einfach alles. Und das konnte Edmund ihr nicht antun, auch wenn er die Möglichkeit dazu hatte.

Deprimiert erhob er sich von seinem Stuhl, durchquerte den Raum und betrat ein weiteres Schlafzimmer, welches für Gäste reserviert war. Ohne darauf zu achten, dass er noch angekleidet war, legte er sich auf das große Bett und schlief schon ein, ehe sein Kopf das Kissen berührte.

Irgendwann öffnete Edmund die Augen und war im ersten Augenblick unsicher wo er sich befand. Die Umgebung sah ihm so vertraut aus, aber er konnte sich nicht daran erinnern was geschehen war. Er setzte sich auf und schaute sich, noch schlaftrunken, im Zimmer um, welches noch immer keinerlei Erinnerungen in ihm hervorrief. Irgendwann jedoch, hörte er die Stimme seines Vaters, wie sie lauthals über etwas Lachte und auf einmal legte sich ein Schalter in Edmunds Kopf um. Jede Erinnerung kehrte augenblicklich zurück, und mit den Erinnerungen auch die Ängste und Fragen welche er gehabt hatte. Ruckartig sprang er aus dem Bett, zog Stiefel und Weste an und stieß beinahe die Tür auf.

Der Anblick der sich ihm dahinter bot war gleichermaßen beruhigend wie beängstigend. Denn dort nur einige wenige Meter von ihm entfernt saß Amanda, in eine Decke gehüllt und unterhielt sich mit Edmunds Vater. Er fühlte sich wie vor den Kopf geschlagen und vergaß was er eigentlich vorgehabt hatte. Unschlüssig stand er im Durchgang und beobachtete Amanda dabei wie sie sich lächelnd mit seinem Vater unterhielt, es schien als ginge es ihr schon wesentlich besser, sie lächelte und ihre Wangen waren rosig. Aber es hing auch noch der Geruch nach Blut in der Luft, welchen Edmund nicht ausblenden konnte. Nach einer kleine Weile erblickte sie ihn und ihr Lächeln wurde breiter, wodurch Edmund sich verpflichtet fühlte näherzutreten und sich in das Gespräch einzubeziehen. Sobald er in ihrer Reichweite war, fühlte Edmund sich sogleich unbehaglich und wusste noch nicht einmal weshalb. „Guten Morgen, ich hoffe es geht ihnen schon besser?“, brachte er nach minutenlangem Schweigen hervor, obwohl er wusste, dass dies nicht die beste Art war, sich vorzustellen, doch etwas sagte ihm, das Amanda schon mehr Informationen über ihn hatte, als er selbst.

Ihr Lächeln dehnte sich aus und zeigte zwei Reihen strahlender Zähne. „Ja, vielen Dank. Es geht mir schon viel besser.“, „dank ihnen“, fügte sie errötend hinzu. Edmund wäre am liebsten gleich wieder durch die Tür verschwunden und nie wieder herausgekommen. Anstelle einer Antwort lächelte er sie so gut es ging an und nahm neben seinem Vater Platz, was er unter normalen Umständen vermieden hätte. Mr. Cunningham tat so als würde ihm die Unhöflichkeit seines Sohnes nicht auffallen und widmete sich voll und ganz dem Überschütten an Komplimenten zu Amandas Gunsten. „Liebes, sie sehen blendend aus, wenn ich mir die Freiheit herausnehmen darf, dies zu sagen. Wenn man bedenkt, dass es vor fast zwei Tagen noch nicht so gut um sie stand…“ Edmund fuhr herum. „Entschuldige Vater, sagtest du eben vor zwei Tagen? Aber ich habe sie doch erst gestern Abend hergebracht.“, stammelte er unbeholfen. Sein Vater winkte ab. „Ach das. Nun du hast, sagen wir mal verschlafen.“ Amanda fing an zu kichern, hörte aber, nachdem sie Edmunds verständnisloses Gesicht sah, auf damit. „Bitte? Ich verstehe nicht…“

„Ach Junge, du hast den gesamten gestrigen Tag durchgeschlafen. Der Doktor meinte, es sei vor Übermüdung und irgendwas mit den Nerven, ich weiß es nicht mehr. Er meinte ich solle dich schlafen lassen und das habe ich getan.“

Edmund nickte nur und schaute aus dem Fenster. Er wollte sich nicht anmerken lassen, wie gekränkt er durch die Worte seines Vaters war, auch wenn sie der Wahrheit entsprachen. Für eine ganze Weile saß er unmerklich auf einem der Sofas und schaute aus dem Fenster, versuchte an alles und gleichzeitig an nichts zu denken und verfolgte in seinen Gedanken die Leute, die er beim Hinausgehen und betreten der unzähligen Geschäfte ausfindig machen konnte. Nach einer ganzen Weile erhob sich sein Vater und klopfte ihm auf die Schulter. „Mein Junge, ich lasse euch jetzt alleine, auch meine Zeit ist nicht unbegrenzt, aber wir werden demnächst viel Zeit haben uns zu unterhalten, wenn wir Amanda deiner Mutter vorstellen.“

„Bedeutet das, dass Mutter nach London kommt?“, fragte er etwas verwirrt.

„Nein, natürlich nicht. Amanda wird uns am Wochenende begleiten, wenn wir nach Hause fahren. Ich habe bereits an ihren Vater geschrieben und da er sich ebenfalls hier aufhält, dürften wir seine Zusage sicherlich in den kommenden Tagen erwarten dürfen.“

„Wie kannst du dir sicher sein, dass es eine Zusage sein wird, Vater?“, hackte Edmund verzweifelt nach. Er wollte nicht dass Amanda sie begleitete, denn dann gab es keinerlei Ausweg mehr.

Sein Vater lachte nur. „Junge, ich dachte du kennst mich.“ Und mit diesen Worten verließ er das Zimmer. Edmund dachte stirnrunzelnd über das gesagte nach und versuchte Amanda so wenig wie möglich zu beachten, was nicht sonderlich einfach war, in Anbetracht der Tatsache, dass sie ihn anstarrte. „Ich hatte noch nicht die Gelegenheit ihnen zu danken Edmund. Das würde ich jetzt gerne nachholen.“, begann sie etwas schüchtern. Edmund sah sie an und fand echte Sorge in ihrem Gesicht, wie konnte er nur so gemein sein, wenn sie gerade etwas derartig Schreckliches miterlebt hatte? Wie würde er sich fühlen, in einer Situation wie dieser? Edmund lehnte sich etwas näher zu ihr heran und schüttelte den Kopf.
„Mylady, ihr müsst mir nicht danken. Ein jeder, der euch gefunden hätte, wäre euch sofort zur Hilfe geeilt. Sie hatten das Glück das jemand in der Nähe war.“, fügte er hinzu und hätte seine Worte am liebsten wieder zurückgenommen, da ihre Augen sich weiteten und sich dort Tränen sammelten. Was ein Narr ich doch bin, dachte Edmund. „Lady, bitte. Ich habe es nicht so gemeint. Ich wollte nur… ich bitte vielmals um Entschuldigung.“

Amanda versuchte zu lächeln und nickte stumm. „Ich verstehe es. Aber es ändert nichts an meinen Gefühlen des Dankes ihnen gegenüber, Edmund. Und bitte, nennen sie mich Amanda.“

Ein abermaliges Schweigen folgte und Edmund versank schon wieder in Gedanken. Er hatte so viele Fragen an sie, und doch war keine unter ihnen die er ihr stellen konnte. Zumindest vorerst nicht. Aber was sollte er tun? Einfach abwarten und sie in einem halben Jahr fragen weshalb sie angegriffen worden war? Nein, diese Option passte ihm ganz und gar nicht. Ob sie es überhaupt wusste, wusste sie warum jemand versucht hatte sie zu ermorden, oder ging sie von einem dahergelaufenen Schurken aus? Fragen über Fragen, und doch keine einzige Antwort. „Warum wollen sie uns begleiten Amanda?“

Doch erst als sie ihn verständnislos ansah, merkte er, dass er diese Frage anscheinend laut gestellt hatte und lief sofort rot an. „Es tut mir Leid. Ich hatte nicht vor sie etwas derartig privates zu fragen, bitte verzeihen Sie mir.“

„Sie denken viel nach, nicht wahr?“, war stattdessen ihre Reaktion, die Edmund erst einmal verstummen ließ. Unfähig etwas zu sagen, nickte er nur.

„Und worüber denken sie nach? Jetzt in diesem Moment zum Beispiel. Ich bin so selten Menschen begegnet, die nachdenken wissen sie. Die meisten Handeln direkt und überlegen nicht, lassen ihre Pläne, ihre Ideen nicht Gestalt annehmen in ihren Köpfen. Das finde ich so schrecklich bedauernswert. Wissen sie, die Menschen die mir am meisten leidtun, das sind die, die nicht denken können.“ Nachdem sie ihren Satz beendet hatte, nippte sie vorsichtig an ihrem Tee und tat so, als hätte sie nicht gerade Edmunds geheime Gedanken laut ausgesprochen. Neugierig betrachtete Edmund sie genauer und versuchte hinter ihre Fassade aus großen Augen und einem rosigen Mund zu blicken, versuchte zu erahnen was wohl in ihr vorging um auch ihr die Sprache zu rauben, doch vergebens. Sein Kopf war zu überfüllt mit Fragen, auf die er keinerlei Antworten wusste, die ihn jedoch nicht losließen, sondern immer wieder auf ihn einprasselten, manchmal mit einer solchen Wucht, dass Edmund sich auf nichts anderes konzentrieren konnte, als die Lösung seines Problems. Doch insgeheim wusste er, dass nicht die Antwort die Lösung war, sondern etwas gänzlich anderes.

„Edmund?“

„Wie bitte?“

„Ich habe sie etwas gefragt und sie haben mir nicht geantwortet.“, sagte Amanda gespielt entsetzt, zumindest hoffte Edmund, dass es nur gespielt war.

„Verzeihung, wie war ihre Frage?“

„Worüber sie nachdenken? Aber ich präzisiere, worüber haben sie gerade eben nachgedacht?“

Was konnte er ihr antworten? Dass er darüber nachdachte, warum er so viel nachdachte? Dass er nicht verstand, wie sie ihn so leicht durchschauen konnte? Woher sie all dies wusste? In was sie verwickelt war? Wieso er glaubte, dass sie in etwas verwickelt war?

„Ich dachte über ein Rätsel nach.“

„Welches Rätsel?“, hackte sie nach.

„Ein Mathematisches, ich glaube kaum, dass sie etwas davon verstehen würden Amanda.“, sagte er in gespielten Bedauern. Auch Amanda lächelte ihn an.

„Sie lügen Edmund. Und noch nicht einmal besonders gut. Sie haben Fragen, trauen sich jedoch nicht sie auszusprechen und sie wollen verstehen warum alles ist wie es ist, nicht wahr? Verzeihung, vielleicht irre ich mich auch. Es sind nur Hypothesen.“, sie lächelte und Edmund hätte sie am liebsten geschüttelt.

„Warum sollte ich sie anlügen?“, fragte er stattdessen und vermied es in ihre Augen zu schauen, die ihn nur noch verständnisloser und Wütender gemacht hätten.

„Warum nicht? Denken sie, ich hätte eine ehrliche Antwort verdient? Nach einer Bekanntschaft von mehreren Minuten? Vermutlich nicht, ist dem nicht so?“

Edmund versuchte sich zu beherrschen und nicht aus diesem Zimmer zu rennen. Wieso? Wieso konnte sie eine solche Macht auf ihn ausüben? Woher wusste sie, worüber er nachdachte und wieso? Es war unerträglich. Langsam lehnte Amanda sich vorwärts bis ihr Gesicht seines fast berührte. Flüsternd, die Worte umarmend und sorgfältig ausgewählt, sprach sie zu ihm. Dabei liebkoste sie jedes Wort, welches sie aussprach, bevor sie sie auf Edmund losschickte. Vermutlich wollte sie ihnen dadurch die Grausamkeit nehmen, oder diese nur noch betonen, Edmund wusste es nicht. Er wusste nur, dass er Amanda nicht trauen durfte.

Niemals.

„Wissen Sie, dass Rätsel, über welches Sie angeblich nachdachten, ist doch keine Lüge. Wahrscheinlich ist es die einzige Wahrheit, der Sie bisher begegnet sind, die einzige Wahrheit, welche es Wert ist, über sie nachzudenken, Edmund. Aber sie haben sich geirrt, denn nicht ich verstehe es nicht, sondern Sie. Und glauben Sie mir, dass wird auch noch eine ganze Weile so bleiben, denn das Rätsel, welches sie beschäftigt, bin Ich.“

KAPITEL VIII (Chase)

Fassungslos starrte Chase erst seinen Vater, dann seine Mutter und zum Schluss Grace an, doch niemanden schien dieses seltsame Schauspiel von gerade eben zu beunruhigen oder gar zu belustigen. Es schien normal zu sein, doch Chase konnte diese Tatsache nicht so einfach schlucken und damit weiterleben, als würde es für ihn nichts verändern.

Mein Vater ist der Präsident…, diese fünf Worte versuchte er sich immer wieder in Gedanken zu sagen, mal laut mal leise, aber sie änderten ihre Bedeutung nicht, unwichtig wie sehr Chase es sich wünschte. Anscheinend musste er einen ganz schön verwirrten Gesichtsausdruck gehabt haben, denn seine Mutter sah ihn voller Sorge an. „Chase, stimmt etwas nicht? Fehlt dir etwas?“ Chase räusperte sich um wieder die Sprache zu gewinnen und schüttelte den Kopf. „Nein, alles in Ordnung.“ Lügner!, korrigierten ihn seine eigenen Gedanken sofort, aber er hatte nicht das Bedürfnis nun auch noch festzustellen, dass er Selbstgespräche führen konnte. Eine Verrücktheit nach der Anderen bitte.

Chase fragte sich, ob er seinen Eltern sagen sollte, dass er sich an nichts erinnern konnte, oder es Sinnvoller wäre, es ihnen zu verschweigen. Fragend ruhte sein Blick auf seiner Schwester, die ihn aber, wie Chase schien, demonstrativ ignorierte, was auch nicht gerade freundlich war. Man ignoriert nun mal keine Leute, die unter Amnesie leiden, fand er. Nach einigen Minuten des Schweigens, traf Chase für sich die Entscheidung. Er würde es so gut es eben ging vor seinen Eltern geheim halten. Sein Vater wirkte auf ihn nicht gerade wie der geduldigste Mensch und hatte Wahrscheinlich noch lauter andere Probleme, mit denen er sich befassen musste. Womit er sich natürlich selber als Problem einordnen würde…

Sein Schweigen bedeutete aber ebenfalls, dass er seine Eltern nicht fragen konnte, wieso er denn letzten Endes im Krankenhaus lag. Und das war eine seiner dringendsten fragen. Bedauerlicherweise konnte Chase nicht wirklich darauf bauen, dass Grace ihm den Gefallen tun und ihn aufklären würde. Frustriert lehnte Chase sich in seine Kissen und schloss die Augen. Ist es nicht fabelhaft, seine Familie gerademal zehn Minuten zu kennen und ihnen nicht zu vertrauen? Das schrie doch geradezu nach Harmonie, oder etwa nicht? Vielleicht würde er ja irgendwann einmal die Gelegenheit haben, alleine mit seiner Ärztin zu sprechen und ihr all seine Fragen zu stellen. Obwohl Chase sich nicht so sicher wahr, ob vor dem Präsidenten auch die Schweigepflicht galt…

„Mum, wie lange muss ich eigentlich noch hier bleiben? Kann ich nicht nach Hause?“, er wusste dass er sich vermutlich wie ein verwöhntes Kleinkind anhörte, aber damit verfolgte er einen ausgeklügelten Plan, hoffte er zumindest.

„Ich weiß es nicht Liebling. Aber wenn du willst kann ich die Ärztin gerne Fragen. Und dir bei Gelegenheit auch noch einen Brownie mitbringen, in Ordnung? Oh Marc, fährst du mit John in die Bäckerei um die Ecke bitte? Ich gehe solange die Ärztin ausquetschen.“, die letzten Worte flüsterte sie Chase ins Ohr und aus irgendeinem Grund fühlte er sich verpflichtete zu lächeln. Sein Vater murmelte etwas von wegen „Warum immer ich?“, und verschwand mit John an der Hand aus dem Zimmer. Seine Mutter küsste ihn auf den Kopf, hauchte Grace einen Kuss zu und verschwand mit einer Duftwolke aus irgendeinem französischen Parfüm. Nachdem alle, bis auf seine Schwester den Raum verlassen hatten, was übrigens besser funktioniert hatte, als er eigentlich dachte, widmete Chase sich seiner Schwester Grace, die ihn noch immer ignorierend, aus dem Fenster schaute. Chase wartete einige Minuten ab, um zu sehen ob sie nicht vielleicht von selbst anfing zu sprechen und ihn über alles aufklären würde. Doch nachdem sie sich mit einer Zeitschrift auf einen beigen Sessel niedergelassen und die Beine übereinander geschlagen hatte, bezweifelte Chase, dass sie anfangen würde zu reden.

Seufzend stellte er ihr seine erste Frage. „Warum hast du dieses kleine Detail weggelassen Grace?“

Verdutzt blickte sie auf und schaute ihn aus ihren großen Augen fragend an. „Was meinst du?“

„Ich bitte dich, du weißt wovon ich spreche. Mr. Präsident? Du kannst mir nicht ernsthaft sagen, dass du davon ausgegangen bist, dass ich DAS noch wusste.“

Mittlerweile hatte Grace ihre Zeitschrift neben sich auf die Sessellehne gelegt und nahm mehr oder weniger die Pose „des Denkers“ an. „Und wenn doch?“, erwiderte sie schlicht und ergreifend. Na prima, sie will nicht kooperieren, dachte Chase frustriert. Er hatte eigentlich nicht vorgehabt diese Karte auszuspielen, aber Grace ließ ihm doch keine Wahl oder?

„Weißt du, ich hatte mit ein bisschen mehr Unterstützung erhofft Grace. Ich kann mich an nichts mehr erinnern und dachte, dass du mir helfen würdest, schließlich bin ich doch dein Bruder oder nicht? Aber anscheinend habe ich mich geirrt.“ Ehrlichgesagt hätte Chase sich selber nicht sonderlich geglaubt und dachte schon er hatte eine Spur übertrieben, doch anscheinend zeigte es eine gewisse Wirkung auf Grace und sie blickte ihn mitleidsvoll an.

„Du hast Recht, es tut mir leid. Ich dachte einfach, dass Dad und du, so vielleicht eine bessere Beziehung aufbauen könntet.“ Verwirrt dachte Chase erst einmal über ihre Worte nach, ehe er ihr noch weitere Fragen stellte. Er haderte mit sich selbst, was am angebrachtesten und taktisch logischsten war, aber sein Kopf war voller Fragezeichen und Leerstellen, dass er beschloss einfach mal sein Glück zu versuchen. „Warum bin ich hier?“

Stille. Ausdruckslose, kalte Stille, war die Antwort auf seine Frage.

„Warum willst du es mir nicht sagen? Etwa um mich zu beschützen? Mir irgendetwas zu ersparen? Komm schon Grace.“, er lächelte sie herzerweichend an, „sag es mir.“, doch seine Schwester schüttelte nur stumm den Kopf und schaute weg.

„Ich kann nicht. Und es ist besser so, vertrau mir. Chase bitte, hör auf zu fragen.“, er konnte sehen, dass sich in Grace Augenwinkel Tränen ansammelten, die sie jedoch tapfer zu unterdrücken versuchte. Chase verstand das nicht. Ob er seine Eltern vielleicht doch fragen sollte? Er konnte doch schließlich nichts dafür, dass er sich an nichts mehr erinnern konnte, oder etwa doch? Eigentlich wollte er die Antwort auf diese Frage, nicht hören.

„Ich gehe einfach mal davon aus, dass du mir auch nicht sagen willst, weshalb du mir alles verschweigst oder?“ Prüfend betrachtete Chase Grace Mimik, die alles andere als Zufriedenheit und Selbstsicherheit ausstrahlte, vielmehr versuchte Grace allen Anscheins nach ihrer Fassung zu behalten. Ihren gesenkten Kopf deutete Chase einfach mal als Antwort und versank ebenfalls in Gedanken. Wie konnte er Grace dazu bringen ihm die Wahrheit zu sagen? Was war die Wahrheit? Was war so fürchterlich, dass sie es für besser hielt, sie ihm zu verschweigen? Gab es Gründe für sein schlechtes Verhältnis zu seinem Vater? Eigentlich hätte er eine Liste machen sollen, mit allen Fragen die er hatte, aber momentan konnte er sich nicht vorstellen, sie jemals fertig zu stellen, denn einige Fragen taten noch mehr Fragen auf und wenn er die Antworten auf einige wenige Fragen wüsste, würde das nur noch mehr Fragen schlussfolgern.

Es gab eigentlich keine Möglichkeit seien Drang nach antworten jemals zu befriedigen, es war unmöglich, doch Chase würde sich auch mit einem kleinen Teil zufriedengeben. Hauptsache dieser Teil entsprach der Wahrheit. Er beschloss es ein letztes Mal zu versuchen, ein letzter verzweifelter Luftzug eines ertrinkenden, denn so fühlte er sich. Er schien zu ertrinken in Leere, Ratlosigkeit und Frustration. Sie zogen ihn immer weiter in ihre Schlingen und setzten alles nur Mögliche daran, ihn auch in ihren Gefilden zu behalten.

„Weshalb Grace?“, eigentlich hätte seine Frage aus mehr als nur diesen beiden Worten bestanden, doch er konnte sich nicht dazu bringen sie alles zu fragen, ihr diese schmerzhaften, unfairen Worte an den Kopf zu hauen und sie damit alleine zu lassen. Er wusste nicht ob sie ihn verstand, aber als es an der Tür klopfte und sein Vater mit einer Tüte Brownies hereinkam, antwortete Grace ihm flüsternd. Zumindest dachte Chase, dass sie ihm geantwortet hatte.

„Deswegen.“

Wahrscheinlich war es pure Einbildung gewesen, aber Chase konnte das Gefühl nicht loswerden, dass sie ihren Vater gemeint hatte, als er sie nach dem Grund gefragt hatte. Aber das war doch unmöglich, oder etwa nicht? Was hatte sein Vater von Grace Schweigen und seinem Unwissen? Wie konnte er erfahren haben, dass Chase sich an nichts erinnerte? Wieso, wieso, wieso?!

Später, kehrte auch seine Mutter in das kleine Zimmer zurück, freudestrahlend über das ganze Gesicht und mit einem Blumenstrauß in der Hand öffnete sie elegant die Tür und setzte sich auf einen weiteren Sessel, neben Chase Bett. „Ich habe unglaubliche Neuigkeiten!“, frohlockte sie und wedelte mit dem Blumenstrauß hin und her, sodass einige der Blüten ihren Weg auf Chase Bettwäsche fanden und dort ihre letzten Atemzüge vollbrachten. Sein Vater musterte seine Frau mit einem Anflug eines Lächelns im Gesicht und verteilte die Brownies, wobei Chase seltsamerweise die Hände zitterten, als er in die Nähe seines Vaters kam, was total absurd ist, aber nichts an dem unguten Gefühl in seiner Magengrube ändern konnte. „Was versetzt dich denn in eine solche Hochstimmung mein Engel?“, fragte sein Vater schließlich, als er wieder zu seinem Platz an der Wand zurückgekehrt war und sich die Krümel von seinem teuren Schlips strich.

„Chase mein Schatz, wir dürfen dich schon morgen wieder mit nach Hause nehmen! Ist das nicht unglaublich? Dann kann ich dich endlich wieder verwöhnen und…“, den letzten Teil hörte Chase überhaupt nicht mehr sondern konzentrierte sich ganz und gar auf das mechanische Bewegen seines Kiefermuskels und dem Schlucken des Brownies. Das Biep –Dings beschleunigte sich kaum merklich und Chase spähte einige Male rüber um es zum Schweigen zu bringen. War diese Nachricht gut oder eher nicht? Beunruhigt betrachtete er Grace, die kreidebleich geworden war und sich an der Sessellehne festkrallte.

Also war es wohl eher keine gute Nachricht, schlussfolgerte Chase. Aber weshalb?

Deswegen, ertönte eine Stimme in seinem Kopf und unweigerlich fiel sein Blick auf seinen Vater, wie er sich mit John spielerisch um den letzten Brownie stritt. Konnte jemand wie er wirklich etwas zu verbergen haben? Momentan konnte Chase sich so etwas nicht im Mindesten vorstellen, aber was versetzte seine Schwester dann in solche Aufruhr? Auf einmal erhob sich Grace, nahm ihre Jacke und Tasche und stand etwas unschlüssig in der Mitte des Raumes, den Blick starr auf Chase geheftet.

„Es tut mir leid, aber ich hatte ein Biologie Referat vergessen.“ Nachdem ihre Mutter sie skeptisch betrachtet hatte, setzte Grace noch hinzu „Es ist für morgen und ich hatte Addison versprochen noch einmal zu ihr zu fahren um mit ihr alles Wichtige zu besprechen.“ Und was ist mit mir?!, hätte Chase am liebsten laut gesagt. Gekränkt sah er Grace an, die noch immer keinen Schritt in Richtung Tür getan hatte und konnte nicht verstehen, wieso sie ausgerechnet noch heute, wo ihr Bruder doch im Krankenhaus lag, ein dämliches Referat proben musste. Es sei denn, es war nur vorgetäuscht, was dann aber die Frage aufwirft, weshalb sie Chase DANN allein lässt und wieso sie ausgerechnet diese bescheuerte Ausrede benutzt hatte. Die zweite Frage wurde ihm jedoch augenblicklich beantwortet.

„Natürlich Liebes. Du musst dich auf deine Abschlussprüfung konzentrieren, ich bin sicher Chase nimmt dir das nicht sonderlich übel, nicht wahr Chase?“, wandte sich sein Vater an ihn und Chase musste seine gesamte Selbstbeherrschung aufbringen um nicht dreist „Doch“, zu sagen. Nachdem er ein nicht sonderlich überzeugendes „Das macht doch nichts“, hervorgequetscht hatte und Grace sich verabschiedet hatte, ging sie noch ein letztes Mal zu Chase um ihn zu umarmen. Eigentlich wollte er Grace nicht umarmen, oder ihr so etwas wie „Na herzlichen Dank auch“, ins Ohr raunen, aber da bemerkte er wie sie ihm einen Zettel in die Hand drückte und diesen mit ihren Haaren versuchte, vor ihrer Mutter abzuschotten. Perplex griff Chase zu und schob ihn eilig unter seine Decke, wo er Ihm keine Ruhe ließ, bis nicht alle den Raum verlassen hatten. Chase konnte sich überhaupt nicht mehr, auf ein Gespräch konzentrieren und sagte gelegentlich so etwas wie „Hmpf“, oder „Mhm“, was nicht wirklich auf seine intellektuellen Fähigkeiten schließen ließ. Der Zettel brannte sich durch die Schichten Stoff die er anhatte und prägte sich wie eine Brandnarbe auf seiner Haut fest, wo er mit unerbittlicher Kraft an Chase Nerven und Schmerzgrenze zerrte. Natürlich wusste er, dass er sich diese Schmerzen nur einbildete und sie nicht real waren, aber dennoch. Die Schmerzen die er gefühlt hatte, hatten sich ziemlich real angefühlt.

Erst nachdem seine Eltern weg waren und er den Zettel endlich hervorgeholt hatte, hörten besagte Schmerzen endlich auf und Chase konnte wieder aufatmen, doch traute sich nicht dn Zettel, mit der Größe eines Fingerhutes aufzufalten. Ihm war überhaupt nicht aufgefallen, dass Grace etwas geschrieben hatte, umso beunruhigender war der Gedanke um was es sich bei seinem Inhalt handeln möge. Chase haderte mit sich selbst, denn eigentlich war nichts größer als seine Neugierde, was sich wohl hinter diesem Stück Papier verbergen möge, andererseits hatte er Angst und wusste noch nicht einmal genau wovor. Er wusste nur, dass ihm dieser Zettel das Blut in den Adern gefrieren ließ und seinen Herzschlag drastisch beschleunigte. Irgendwann, nach einer gefühlten Ewigkeit brachte er sich dazu ihn auseinanderzufalten und ihn zu lesen.

Was er sogleich wieder bereute. Chase war sich noch nicht einmal genau sicher, was es zu bedeuten hatte, was Grace geschrieben hatte, aber dennoch machte es ihm Angst, aber diesmal war seine Angst nicht unbestimmt und flatterhaft, diesmal war sie konkret und übermäßig, hatte eine Form und Gestalt, was es noch wesentlich schlimmer machte sie zu umgehen, da es nicht möglich war.  Zitternd warf Chase den Zettel in den Mülleimer und umschlang sein Kissen, betete, hoffte dass er Grace Botschaft falsch verstanden hatte.  Aber er konnte sich nicht damit abfinden, was sie geschrieben hatte. Konnte nicht glauben, dass jemand so viel Macht hatte. Und doch war dem so.

Unaufhörlich kamen die Worte zu ihm zurück und ließen Chase keine Sekunde des Vergessens, Begreifens, Hinnehmens. Immer wieder hatte er nur diese Worte vor Augen.

Er weiß alles und beobachtet uns alle.

KAPITEL IX

Maddie ließ sich ohne weitere Worte von dem Wachmann wegführen, ihre Tränen versiegelten endlich und sie hielt würdevoll mit ihm Schritt, während sie das Labyrinth durchkämmten, auf der Suche nach dem Ausgang. Obwohl Reese wusste, dass dort noch ein weiterer Wachmann steht und darauf wartet, dass sie sich von selbst aus in Bewegung setzt, wollten ihre Beine ihr nicht gehorchen. Genauso wenig wie ihre Gedanken, Gefühle oder ihr restlicher Körper, nichts davon war sie. Sie spürte alles, doch begreifen konnte Reese nichts und so blieb sie dort verharrt, bis der Wachmann schließlich seufzte und sie sie vorwärtsschob. Reese Beine bewegten sich mechanisch und folgten Maddies Schritten auf dem Kiesboden. In Reese Kopf schwirrten so viele ungeklärte Fragen umher, doch es gab niemanden dem sie ihre Fragen stellen könnte, niemandem der ihr darauf, selbst wenn er sie beantworten könnte,  keine Antwort geben würde.

Außer Maddie, durchzuckte Reese ein Gedanke, der sogleich von allen anderen übertönt, überlagert und weggedrängt wurde, sodass Reese noch nicht einmal die Gelegenheit bekam sich über seine Bedeutung im Klaren zu werden. Als sie das Labyrinth verließen, konnte Reese ihre Lehrerin, Miss Thoss sehen, wie sie hektisch zwischen all ihren Schülern umherlief und versuchte sie zu beruhigen, obwohl sie allen Anscheins nach selber beruhigt werden müsste. Obwohl Reese wusste, dass sie jetzt Schuld, Schmerz und Bedauern empfinden sollte, gelang es ich nicht diese Gefühle herauszufiltern. Waren sie überhaupt da? Reese wuste es nicht, sie wusste nichts mehr und wollte auch nichts wissen. Am liebsten würde sie die Zeit zurückdrehen, bis sie an ihrem Fenster stand und die Perfektion der Welt bewunderte. Wie gerne würde sie diese Glücksseligkeit wieder empfinden, keinerlei Schmerz oder Angst im Hinterkopf haben und einfach nur Reese sein.

Doch das hier war nicht Reese und das hier war auch nicht perfekt. Nicht im Mindesten.

Nachdem Miss Thoss sie alle aus den Fängen des Labyrinths heraustreten sah atmete sie erleichtert auf und ein Lächeln breitete sich auf ihrem Gesicht auf. Ob sie wusste was geschehen war? Vermutlich nicht, beantwortete Reese sich ihre Frage selbst. Aber wer weiß? Der Wachmann wusste auch davon ohne dass es ihm jemand gesagt hätte. Erschöpft versuchte sie diese Gedanken beiseite zu schieben, sie waren unsinnig und führten zu nichts. Reese sah wie Miss Thoss mit einem der beiden Wachmänner redete, erst wütend, dann frustriert und schließlich sehr traurig. Sie konnte nicht verstehen worüber die beiden sprachen und wollte es auch nicht. Es war nichts Erfreuliches oder Aufmunterndes, dessen war Reese sich sicher und alles andere würde ihr nicht helfen.

Oder Maddie.

Reese riskierte einen Blick auf ihre Freundin, die gelassen neben einem anderen Wachmann stand und auf den Palast blickte. Nichts schien darauf zu deuten, dass sie in Schwierigkeiten war, oder sich Sorgen um ihre Zukunft machte. So wie Reese sie jetzt sah, mutig, elegant und gleichzeitig kalt, konnte sie sich nicht erklären weshalb Maddie zusammengebrochen war. Oder gar, weshalb sie einen unschuldigen kleinen Vogel getötet hatte. Verunsichert blickte Reese auf ihren Wachmann und fragte sich was er wohl dachte, in diesem Moment. Es war wesentlich einfacher sich auf die möglichen Gedanken und Gefühle anderer zu konzentrieren, als auf ihre eigenen, stelle Reese fest. Denn ihre Gefühle waren real, sie waren greifbar, spürbar und machten ihr Angst. Es bereitete Ihr Kopfschmerzen überhaupt darüber nachzudenken was sie empfand, geschweige denn wie sie sich verhalten sollte. Deshalb konzentrierte Reese sich auf diesen Wachmann, der wie eine Säule neben ihr stand und starr geradeaus blickte.

Reese konnte sehen, wie Miss Thoss bedauernd nickte und schwerlich um Fassung rang. Anscheinend hatte das Gespräch sie in irgendeiner Weise schockiert, denn sie mied den Augenkontakt mit Reese und Maddie. Sie ging sogar so weit sich komplett von ihnen abzuwenden und wieder zu ihrer restlichen Klasse zurückzugehen. Erst als Miss Thoss sich in Bewegung setzte und wirklich aus dem Hofe des Palastes verschwunden war, wurde Reese bewusst was gerade geschehen war. Sie wurden alleine gelassen.

Sosehr Reese vorhin auch keinerlei Gefühle unterscheiden konnte, so wallte sich jetzt Panik in ihr auf. Blanke, hohle, primitive Panik, die ihre Barriere durchbrach und jeden Millimeter ihres Körpers mit sich ausfüllte, sodass Reese aus nichts anderem mehr bestand außer diesem Gefühl. Sie spürte, wie ihre Hände anfingen zu zittern und ihr die Luft wegblieb, doch sie achtete nicht darauf. Das einzige woran Reese in diesem Moment denken konnte, waren ihre Eltern und die bodenlose Enttäuschung, die sie empfinden würden, sobald sie von all dem hier erfuhren. Ein anderes Gefühl gesellte sich zu Reese Panik, ihrer Angst.

Scham.

Und dieses Gefühl war noch schlimmer als diese Markerschütternde Angst, denn es hatte keinerlei Grund sich in Reese breit zu machen, es gab keinen Anlass für seine Anwesenheit. SIE hatte doch nichts falsch gemacht, oder etwa doch? Ohne zu wissen warum,  fing Reese an zu weinen. Sie wusste, dass es falsch und ein Zeichen der Schwäche war zu weinen, doch sie konnte nicht anders. Wen kümmerte es ob sie Stark, oder Schwach war? Wen kümmerte es überhaupt was sie fühlte? Reese war so sehr in ihre Tränen und ihren Schmerz versunken gewesen, dass sie erst merkte, dass sie sich auf den Palast zubewegten, als sie schon beinahe vor seinen Toren standen. Abrupt blieb sie stehen und zwang sich regelmäßig ein und aus zu atmen. Es wird alles gut, wiederholte Reese immer wieder, es wird alles gut. Das monotone Wiederholen desselben Satzes wirkte wesentlich beruhigender, als die Bedeutung dahinter, denn daran konnte Reese in diesem Moment, umringt von Männern in Uniformen und einem toten Vogel, nur knappe hundert Meter entfernt, einfach nicht glauben. Sie wollte es, doch sie konnte nicht.

„Miss, ist alles okay bei Ihnen?“, überrascht schaute Reese in die braunen Augen eines der Wachmänner, welche sie abschätzend durchleuchteten, um festzustellen ob Reese seiner Aufmerksamkeit überhaupt würdig war. Wütend ballte Reese die Hände zu Fäusten und schaute ihm kalt ins Gesicht. Sie wusste nicht woher diese Wut in ihr kam, woher sie den Mut nahm, die Wahrheit zu sagen, doch sie konnte den Worten, die aus ihrem Mund kamen keine Einhalt gebieten.

„Nein tut es nicht. Wenn sie mich schon wegführen, verlange ich eine Erklärung. Ich möchte, dass meine Eltern über meinen Aufenthaltsort informiert werden. Und ich möchte wissen, weshalb wir in das Innere des Palastes gehen müssen.“

Einmal gesagt, konnte Reese ihre Worte nicht mehr zurücknehmen, obwohl sie nichts sehnlichster gewollt hätte. Wie konnte sie nur so dumm, so unsäglich dumm gewesen sein dem Wachmann des Präsidenten diese Worte an den Kopf zu werfen??? Beschämt senkte sie ihre Lieder, sodass sie nur noch ihre Schuhe sehen konnte. Die Schuhe, die sie für den heutigen Tag speziell ausgesucht hatte, die Schuhe die heute ein Teil ihres perfekten Tages in ihrer Perfekten Welt werden sollten. Die Schuhe waren noch da, doch Reese spürte nichts von dem Glücksgefühl, welches sie noch heute Morgen empfunden hatte.

Sie konnte deutlich hören, wie der Wachmann die Luft einzog und mit den Füßen scharrte. Reese traute sich nicht ihm, oder jemand anderem, ins Gesicht zu blicken, so entsetzt war sie von sich selbst.

„Miss, wir werden ihnen all ihre Fragen beantworten, sobald sie sich in den Befragungsräumen befinden. Sie werden sicherlich verstehen, weshalb sie dort sein werden, nicht wahr?“, bevor Reese auch nur über eine Antwort nachdenken konnte, sprach der Wachmann schon weiter, „Ihre Eltern werden selbstverständlich jeden Augenblick informiert und jetzt würde ich Sie bitten, mir zu folgen.“

Gehorsam setzte Reese einen Fuß vor den anderen und passierte das Tor, welches sie schon immer von ihrem Wunsch den Palast zu sehen, abgehalten hatte. Doch was hätte Reese nicht darum gegeben, eben nicht durch dieses monströse Tor hindurch zu müssen? Beinahe hätte sie laut aufgelacht. Wer hätte gedacht, dass einer ihrer größten Träume jemals in einer solch kranken Art und Weise in Erfüllung gehen sollten?

Nachdem Maddie, Reese und die beiden Wachmänner,  durch das Tor gegangen waren, erstreckte sich vor Reese ein weiterer Garten, der   nicht zu vergleichen mit den Ausmaßen der Anlage war, vielmehr war es lediglich ein Streifen Grün, doch umso schöner schien es für Reese zu sein. Die beiden Wachläute übergaben die beiden Mädchen, an zwei ihrer Kollegen, einen großen, dünnen Mann mit einer Narbe auf der linken Gesichtshälfte und einem etwas kleineren, pummeligen mit ziemlich wenig Haar. Reese fragte sich wie dieser Mann es geschafft hatte, in die Wache des Präsidenten zu gelangen.  Pummelchen und Narbengesicht führten sie in das Innere des Palastes, welches Reese mit Sicherheit die Sprache verschlagen hätte, wäre sie zu einem anderen Umstand hier gewesen. So allerdings nahm sie nur sehr viel Prunk wahr, der ihr gänzlich unbedeutender erschien, je mehr sie sich ihn anschaute.

Anfangs versuchte Reese sich noch zu behalten, welche Gänge sie einschlugen, welche Biegungen sie nahmen und an welchen Gemälden sie vorbeigingen, doch irgendwann nahm alles die Form und Gestalt der selben Gegenstände an, Reese konnte sie nicht mehr unterscheiden und gab den Versuch , sich hier zurecht zu finden, komplett auf. Nach einer Weile änderte sich der Einrichtungsstyl sehr drastisch. An Stelle von Gold und Juwelen, traten nun Edelstahl und Panzerglas, wohin sie auch blickte, überall erkannte sie Kameras, Sicherheitstüren und Türen mit verschiedenen Aufschriften wie: Vorsicht! Betreten auf eigene Gefahr! Reese fühlte sich gänzlich unbehaglich und konnte sich nur lebhaft vorstellen, wo genau sie sich hier befanden, doch sie traute sich nicht ihren eigenen Gedankengängen zu folge, zu beängstigt war sie allein von der Vorstellung, wohin diese sie führen könnten.

Nach mehreren Minuten des Schweigens blieben sie vor einer weißen Tür stehen, die ebenfalls von einer Kamera beobachtet wurde. Reese wunderte sich, wie viele Leute alleine dafür verantwortlich sein müssten, all diese Aufnahmen durchzuschauen. Tag für Tag, Woche für Woche, Jahr für Jahr. Auch wenn auf dieser Tür kein Schild mit „Betreten verboten“, oder „“Vorsicht Lebensgefahr!“, stand, fühlte Reese sich unbehaglich. Sie wusste, dass sie nun befragt werden würden, dass ihr Fragen zu Maddie, zu dem Vogel und wahrscheinlich ihrem eigenen Part in dieser Inszenierung gestellt werden würden. Und Reese würde nicht lügen.

Eine halbe Stunde später, starrte Reese eine der vier kahlen Wände des Beratungszimmers an und versuchte nicht zu zittern. Sie würde getrennt befragt werden, Maddie befand sich vermutlich nur eine Tür weiter und starrte ebenfalls eine Wand an…

Reese wartete nun schon seit etwa einer halben Stunde und noch immer war niemand erschienen, der ihr ihre Fragen beantwortet, noch eigene gestellt hatte. Sie wusste, dass es kindisch war, doch sie wurde ungeduldig. Aber dieses Mal würde sie ihre Meinung nicht so leichtfertig einem Mitarbeiter an den Kopf werfen, dieses Mal würde sie vorsichtiger sein, klüger. Als die Tür sich öffnete, war Reese so erleichtert, dass sie vergaß weshalb sie hier war, sie vergaß dass sie beschuldigt werden würde und sie vergaß dass sie eigentlich frustriert war und lächelte kurz.

Ihr Lächeln erstarb im selben Augenblick, in dem sie die Frau sah, die den Raum betrat. Sie war klein und schmal, trug ihre Haare in einem Dutt und war geschmackvoll in einen Hosenanzug gekleidet, doch es war nicht die Farbe es Anzugs, oder ihre Haare, welche Reese das Blut in den Adern erstarren ließen, es waren ihre Augen. Sie hatte bisher noch nie solche Augen gesehen. Sie waren Blassblau und kalt wie Stahl, Reese konnte keinerlei Wärme in ihnen finden, kein Mitgefühl, kein Gefühl. Sie waren Hohl, das waren die Augen einer Toten.

Die frau stellte sich als Mrs. Ericson vor und setzte sich Reese gegenüber auf einen Stuhl, nachdem sie vorher sorgfältig ihre Unterlagen sortiert und Reese von Kopf bis Fuß gemustert hatte. Es war seltsam und pure Einbildungskraft, doch Reese schien es, als würde ihr Körper gefrieren, dort wo Mrs. Ericson, mit ihren Augen ruhte. Sie fühlte sich unbehaglich und das lag nicht nur an der Person, die sie befragen sollte. Reese fühlte sich eingeengt, eingesperrt, beraubt, belogen und betrogen und konnte noch nicht einmal erklären wieso. Aber am allermeisten fühlte sie sich hilflos und das schlimmste daran war, dass sie genau wusste weshalb sie sich so fühlte.

„Nun, Miss…“

Reese erschrak als ihr klarwurde, dass Sie soeben angeredet wurde und blickte alarmiert in die Augen von Mrs. Ericson. „Entschuldigen Sie, was sagten sie noch gleich?“

Mrs. Ericsons Mundwinkel verschoben sich zu einem kleinen Lächeln und sie blätterte ihre Unterlagen durch. „Ihr Name, junge Dame.“

„Oh natürlich. Reese Collister Ma’am.“

„Sie wissen weshalb sie hier sind Miss Collister?“, fragte die überaus sanfte und melodische Stimme Mrs. Ericson. Doch Reese wusste nicht wie sie antworten sollte. Sie wusste weshalb sie hier war, doch sie hatte nichts getan, zu mindestens absichtlich nicht, oder etwa doch? Aber Reese hatte sich geschworen nicht zu lügen… Überfordert atmete sie tief durch.

„Ich kann es mir denken Ma’am, ja.“

„Kennen sie Maddison Parker?“, Reese hauchte ein leises „Ja“, als Antwort.

„Erzählen sie mir etwas über sie.“, Reese schluckte schwer. Sie sah zur Wand, sah in die ebenso leeren Augen Mrs. Ericson und konnte keine Antwort finden. Nach einigen Sekunden fing Reese an zu sprechen.

„Sie ist meine beste Freundin seit dem Tag, an dem wir eingeschult worden sind. Sie hat einen älteren Bruder, Georg und ihre Eltern sind arbeiten beide für den Staat. Sie wohnt in einem schönen Haus und hat gute Noten.“

Mrs. Ericson lächelte leicht. „Das sind Fakten, ich würde gerne wissen, wie sie als Person ist.“

Reese zögerte keinen Augenblick.

„Erst möchte ich, dass Sie mir meine Fragen beantworten, bevor ich weiterspreche.“

Mrs. Ericson  hob amüsiert den Blick und legte ihren Stift nieder. „Du möchtest gerne Antworten haben? Mal sehen, deine Eltern sind auf dem Weg hierher. Du sitzt in den Befragungsräumen des Präsidenten, weil deine Freundin ein Lebewesen ermordet hat. Dir wird keine Mittäterschaft vorgeworfen, du bist lediglich ein Zeuge. Maddison sitzt in dem Raum neben dir und wird ebenfalls in diesem Moment befragt, war es das fürs Erste?“

Reese nickte stumm, sie wurde also nicht beschuldigt etwas getan zu haben, was nur noch mehr ihren Verdacht bestätigte, dass der Präsident auch Kameras in seinen Gärten hatte. Wenn sie aber nicht beschuldigt wurde, bedeutete dass, dass Maddie all die Schuld bekommen würde. Reese fing an zu zittern bei dem Gedanken, welche Strafe ihr bevorstand. Sie musste versuchen Maddie im Bestmöglichen Licht dastehen zu lassen.

„Maddison ist ein ehrlicher Mensch. Sie sagt ihre Meinung immer offen und ehrlich und fürchtet sich nicht vor irgendwelchen Kommentaren. Sie ist sehr vertrauenswürdig und liebenswert. Außerdem Hilfsbereit und Gehorsam. Sie ist… etwas Besonderes.“ Reese Augen wurden feucht, sie  hatte so vieles verschwiegen, so viel Positives aber auch Maddies negative Seiten, sie hatte verschwiegen dass sie dickköpfig, stur und manchmal unfreundlich war. Sie hatte nicht erwähnt, dass sie nicht gut von dem Präsidenten dachte.  Reese fühlte sich schlecht, sie wollte doch nicht lügen. Aber sie hatte keine andere Wahl oder etwa doch?

„Warum denkst du hat sie den Vogel getötet Reese? Ich darf doch so nennen, nicht wahr?“

„Nein, es tut mir leid.“

„Denkst du es war eine Bewegung gegen den Präsidenten? Eine kleine… Geste ihrer Gedanken?“

Reese zog erstaunt die Luft ein, ihr Gehirn arbeitete auf Hochtouren und analysierte gleichzeitig jedes Wort von Mrs. Ericsons Satz.

„Natürlich nicht. Sie sprach immer in den höchsten Tönen vom Präsidenten.“ Lüge. „Sie würde nie so etwas tun, oder gar denken.“ Lüge. „Und sie würde erst recht nichts als Auflehnungsgeste machen.“ Lüge.

Mrs. Ericson lächelte schon wieder. Am liebsten würde Reese ihr dieses Lächeln aus dem Gesicht kratzen, aber das tat sie natürlich nicht. Stattdessen hörte sie sich ihre Worte an, die ebenso falsch klangen, wie vorhin noch Reese. Doch Reese Worte waren eine Lüge gewesen, Mrs. Ericsons die Wahrheit.

„Reese, für uns sieht die Lage so aus: Maddison wusste von den Kameras, sie wusste von der Strafe, dem Gesetz. Sie hat ein Lebewesen ermordet und hat gegen den Präsidenten, also gegen den Staat gehandelt.“

Reese Augen füllten sich mit Tränen. „Was werden sie mit ihr machen?“, fragte sie mit tränenerstickter Stimme.

Mrs. Ericsons Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. „Wir werden sie hierbehalten und dafür sorgen, dass sie gesteht. Danach…“, Sie lächelte diabolisch, „Danach werden wir über sie verfahren, aber Reese das war Hochverrat. Ihre Chancen stehen nicht sonderlich gut.“

Während Reese sie anstarrte, packte Mrs. Ericson seelenruhig ihre Sachen zusammen, rückte den Stuhl zurecht und ging geradewegs zur Tür. Im Hinausgehen drehte sie sich noch einmal zu Reese um.

„Danke für deine Kooperation Reese. Jemand kommt dich gleich abholen, ich wünsche dir noch einen schönen Tag.“

Nachdem die Tür geschlossen wurde, versank Reese in Stille. Unfähig sich zu bewegen, starrte sie die blanke Wand an und versuchte ihren Tränen Einhalt zu gebieten, doch es nützte nichts. Sie liefen ihr über die Wangen, tropften auf ihr Kleid und vernichteten jegliche Hoffnung auf Besserung. Benebelt von ihrem Schmerz kroch Reese auf allen Vieren zur Tür und kniete sich vor sie hin, den Kopf in ihre Hände gestützt und das Kleid auf dem weißen Marmor ausgebreitet, saß sie da und weine bitterliche Tränen. Wenn sie doch nur Maddies Grund gewusst hätte! Wenn Reese doch nur wüsste, weshalb, weshalb ihre Freundin ihr komplettes Leben aufgab, weshalb ihr alles unwichtig war und sie es für richtig hielt ein Lebewesen zu töten.

Langsam schlich sich der Gedanke an Reese heran, dass sie jetzt allein war. Maddie hatte sie betrogen, belogen und ihre geheimen Gedanken verschwiegen und Reese? Sie hatte ihr alles anvertraut, jeden noch so falschen Gedanken, jedes schlechte Gefühl und war  sich ironischerweise auch noch geborgen und verstanden vorgekommen. Schluchzend umarmte sie sich selbst und versuchte nicht daran zu denken, wo sie sich befand, was geschehen war und noch geschehen wird, doch es war schwer.

Unmöglich.

Aus einem plötzlichen, unerklärlichen und gleichzeitig anormalem Bedürfnis heraus, fing Reese an zu schreien. Sie wusste nicht wieso sie das tat, sie wusste nicht ob es ihr helfen oder ihr schaden würde, dass einzige was Reese ohne jeglichen Zweifel wusste, waren zwei Wahrheiten.

Zwei Wahrheiten, die sie mit Furcht erfüllten und an die sie kaum zu denken wagte. Zwei Wahrheiten, die einmal ausgesprochen, nie wieder zurückgenommen werden konnten. Zwei Wahrheiten, die so unwirklich schienen, dass Reese sie kaum begreifen könnte, wären sie nicht wahr gewesen.

Doch Reese wusste nicht welche Wahrheit schlimmer war, die Tatsache dass Maddie öffentlich gegen den Präsidenten einstand, oder vielmehr die Einsicht, dass Reese WElt, die sie vorher war, soeben begonnen hatte zu zerfallen und es nichts gab was diesen Prozess verhindern konnte.

Zwei Wahrheiten.

Und Reese wusste nicht, ob sie sie ädern wollte.

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Eine Antwort zu “Falsche Wahrheiten

  1. super geschichte, wie machst du das eigentlich so? lädst du da jede woche ein kapitel hoch oder machst du das zufällig wann du eins fertig hast? (p.s. hab doch alles ausgedruckt 😀 )

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